Das Hausbuch der Legenden
dem anderen in die Waagschale. Sie blieb hoch oben.
Alle wunderten sich sehr. Er legte einige Gewänder und seidene Kleider darauf, aber seine Schale hob sich immer mehr, anstatt sich zu senken. Da erschrak Amarnitinayanar sehr und sagte: »Ich habe auf die Lendentücher ungezählte Kleiderbündel gehäuft, und die Schale hebt sich immer mehr, statt zu sinken. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
Gestatte, daß ich nun andere Schätze bringe und die Waage damit beschwere.« Der Brahmanenschüler antwortete: »Auch ich kann dazu nichts sagen. Hole nur andere Schätze! Auf jeden Fall muß das Gewicht meines Lendentuches aufgewogen werden.« Aber es nützte nichts, daß der Hausherr lastenweise Edelsteine, Gold, Silber und andere Juwelen anschleppte, seine Waagschale blieb oben stehen. Da verneigte er sich vor dem Brahmanenschüler und sagte: »Ich habe nun alle meine Schätze in die Waagschale gelegt. Nun sind nur noch mein Weib, ich und mein Sohn übrig. Wenn du es wünschst und wenn es dir gefällt, dann steigen auch wir in die Waagschale.«
Der Brahmanenschüler gab seine Zustimmung.
Amarnitinayanar war darüber sehr erfreut, verneigte sich vor seinem Gegner, ging mit seiner Frau und mit seinem Sohn einmal um die Waagschale herum und sagte: »Wenn wir den Dienern Shivas rechtschaffen gedient haben, dann möge diese Waagschale ins Gleichgewicht kommen mit der anderen, sobald wir sie bestiegen haben!« Dann betete er zu dem höchsten der Götter, zu Shiva, rezitierte die fünf heiligen Buchstaben und bestieg mit den beiden anderen fröhlich und zuversichtlich die Waagschale. Sofort pendelten die beiden Schalen ins Gleichgewicht, das Lendentuch des Götterfürsten und die untadelige Dienstbereitschaft des Hausherrn waren einander wert. Alle, die das Wunder gesehen hatten, brachten dem Armarnitinayanar ihre Verehrung zum Ausdruck. Der Herr des Himmels aber legte seine Verkleidung ab und erschien mit Parvati (seiner Frau) vor aller Augen auf dem Stier Nandi. Alle beteten ihn an. Er aber richtete sein Gnadenauge auf den Hausherrn, seine Gattin und seinen Sohn und sagte: »Ihr drei sollt meine Arul (Gnade) erlangen! Ihr sollt mich von Angesicht zu Angesicht verehren!« Dann verschwand er. Die drei in der Waagschale aber stiegen wie auf einer Wolke oder wie in einem Götterwagen auf in den Himmel Shivas.
Öl für die Lampen des Tempels
IN EINEM der zahlreichen Länder Indiens lebte ein reicher Mann, der Shiva hoch verehrte. Er nahm sein ganzes Hab und Gut, Landbesitz, Paläste, Gold, Silber und Edelsteine, kaufte dafür Öl für die heiligen Lampen des großen Shivatempels und zündete sie an. Eines Tages hatte er nichts mehr. Da ging er nach Chidambaram, betete zu den dortigen Göttern, verkaufte seine Hausgeräte und zündete mit dem Erlös die Lampen des dortigen Tempels an.
Aber auch das Hausgerät war eines Tages verkauft, und er hatte alles Geld verausgabt. Da schnitt er Gras und kaufte von dem Geld, das er dafür erhielt, Öl für die Lampen des Tempels.
Als er eines Tages das Gras nicht absetzen konnte, drehte er aus dem Gras eine große Fackel und zündete sie an. Sie reichte aber nicht aus, um bis Mitternacht zu brennen. Da füllte er die Lampen mit seinem Haar. Nun endlich erwies ihm Shiva seine Gnade, schenkte ihm die Erleuchtung und ließ ihn in seinen Himmel eingehen.
Legenden aus Übersee
Maui hebt den Himmel
DAS WELTALL ist nicht anders wie eine unausmeßbar große Kokosnuß. Im Inneren ist Avaiki mit dem Totenreich, der Unterwelt und den Dämonen. Aber auch mächtige Götter leben dort, unter ihnen Ru, der Stützer des Himmels, und sein Weib Buataranga, die den Weg zur unsichtbaren Welt überwacht. Ru und Buataranga hatten einen mächtigen Sohn, halb Gott, halb Dämon. Sie nannten ihn Maui, und er wurde die rechte Hand des obersten Gottes, des Weltenschöpfers, ja, er handelte und wirkte oft an seiner Stelle. Die Leute aus Tonga erzählen, daß er die Erde auf dem Rücken trägt und die Erdbeben erzeugt.
Schon in jungen Jahren wurde er damit beauftragt, über die Sterblichen zu wachen, die auf der Oberwelt leben. Nur eine schmale Öffnung in der Spitze der Kokosnuß verbindet Avaiki mit dieser Oberwelt. Darüber spannt sich das
Himmelsgewölbe. Es ist ohne Mörtel aus harten, sauber behauenen blauen Steinen gefügt. Wie Hände streckt der sechs Fuß hohe Teve seine mächtigen Blätter nach oben, Millionen Stützen, die das ungeheure Gewicht des Gewölbes tragen.
Dazwischen stehen
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