Das Hausbuch der Legenden
war. Er hatte dem Apostel weit schlimmere Qualen zugedacht; denn er wollte sich an ihm für den Tod des Magiers Simon rächen, der bei dem Versuch, in den Himmel
aufzufahren, jämmerlich verunglückt war. Agrippa wurde nun für sein eigenmächtiges Vorgehen ins Gefängnis geworfen und abgesetzt. Er starb, verachtet und vergessen, einen
schrecklichen Tod. Nero rächte sich grausam an den Freunden und Anhängern des Apostels. Petrus aber erschien den Seinen und warnte sie vor dem Kaiser wie vor einem tollwütigen wilden Tier. Auch den Kaiser Nero suchte er nachts heim, ließ ihn prügeln und befahl ihm, die Verfolgung der Diener Christi sofort einzustellen. Nero hielt daraufhin Ruhe. Die Brüder aber waren wieder fröhlich im Herrn, der heilige Petrus erschien ihnen viele Male, tröstete sie und richtete sie auf.
Sankt Peter und seine Mutter
MAN ERZÄHLT sich in Bulgarien, daß die Mutter des heiligen Petrus alles andere als heiligmäßig gelebt habe. Als Petrus ins Paradies aufbrach, lief sie ihm nach und rief: »Mein lieber Sohn, heilig gewordener Peter, bleib doch stehen, ich bitte dich! Warte auf deine Mutter! Ich will mit dir gehen, ins Paradies!« Petrus aber rief im Weitergehen zurück: »Bleib zurück, Mutter, bleib zurück! Du hast Schuld auf dich geladen!
Nur dem, der ohne Schuld ist, öffnet sich das Paradies! Hör auf mich, Mutter! So kommst du nicht ins Paradies! Bleib zurück und tue Buße!« Aber die Mutter ließ sich nicht abweisen. Sie lief immer hinter dem heiligen Petrus her. Da sagte er:
»Erinnere dich doch, Mutter, du warst ein reiches Weib, du hattest ein großes Vermögen, du bist fast erstickt in deinem Überfluß. Aber du gabst niemandem etwas um Gottes willen.
Erinnere dich an die beiden Bettler, Mutter! Sie standen vor deiner Haustür und spielten und bettelten, sie spielten gut, und sie hielten nur zwischen den Liedern ihre offenen Hände hin.
Sie standen vom hellen Mittag bis in den Abend. Es war finstere Nacht, als sie gingen. Aber dein Herz blieb hart, Mutter, du gabst ihnen vom Mittag bis zum Abend nichts.
Endlich holtest du eine Brotrinde, die drei Wochen alt war, und einen Bund Flachs. Das gabst du ihnen als Almosen. Und als die müden Bettler gingen, bereutest du deine Guttat schon wieder, da riefst du den Herrn an: ›Lieber Herrgott, goldener Herrgott, all mein Hab und Gut hab’ ich verschenkt, daß es fremde Leute essen, fremdes Volk und Vagabunden! Was bleibt mir nun für meine Kinder?‹ Erinnerst du dich, liebe Mutter? Die zwei Armen waren keine Bettler! Sie waren Engel, die der Herr dir sandte.«
Aber die Mutter blieb nicht zurück. Da sprach der heilige Petrus weiter: »Erinnere dich doch Mutter! Die Nachbarn haben dich als Taufpatin gebeten. Aber du gingst nicht mit in die Kirche, du warst nicht bei der Taufe, du gingst erst zum Schmaus, du kamst erst zum Gelage. Und was schenktest du den Neugeborenen, Mutter? Weder Hemden noch Leinwand, keine Strümpfchen, keine Mützen. Erinnere dich, Mutter, nichts schenktest du. Nackt und bloß warten jetzt die armen Kindlein auf dich. Was antwortest du, Mutter, wenn Gott dich fragt, warum sie nackt sind?« Nach einer kurzen Atempause begann Petrus wieder zu sprechen: »Erinnere dich, Mutter: Schenkwirtin warst du, mit rotem Wein fülltest du die Gläser.
Fremde, Wanderer und arme Leute saßen in deiner Stube. Sie sagten zu dir: ›Du nimmst mehr, als du gibst!‹ Da fluchtest du:
›Bei Gott! Beim Teufel! Ich schenke euch voll ein und darum nehme ich voll!‹ Aber erinnere dich, Mutter! Du fülltest drei Viertel klares Wasser in die Gläser, du gabst dazu nur ein Viertel roten Wein. Du nahmst voll, aber du gabst nicht voll.
Und wie war das mit dem Mehl, liebe Mutter? Zweimal, viermal, achtmal, sechzehnmal lieh dir die Nachbarin schönes reines Mehl. War nicht Asche in dem Mehl, das du der Armen zurückgabst?« So redete der heilige Petrus, und seine Mutter folgte ihm, schon außer Atem, ohne ein Wort. Da kamen sie an eine leichte schwankende Brücke, die aus Haaren geknüpft war. Sie führte über den Abgrund der Hölle ins Paradies. Sankt Peter ging ohne Aufenthalt hinüber. Seine Mutter folgte ihm.
Als sie aber in der Mitte der Brücke war, rissen die dünnen Seile, und die Mutter stürzte in den schwarzen Schlund der Hölle. Drei Jahre betete der Fürst der Engel für sie. Drei Jahre und drei Tage betete Sankt Peter: »Lieber Herrgott, goldener Herrgott, meine Mutter ist eine große Sünderin, erbarme dich ihrer!«
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