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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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Drei Jahre verzieh der Herr nicht. Drei Tage darauf erbarmte er sich der Sünderin und sagte zu Petrus: »Ich gebe dir deine Mutter frei. Nimm ein langes gutes Seil und geh ans Meer. Lasse das Seil ins Meer hinab und von da in die Hölle, die darunter liegt. Befiehl der sündigen Seele deiner Mutter, daß sie an dem Seil hochklettere. Dort unten sind noch andere, dort unten sind noch siebzig andere sündhafte Seelen. Sie sollen den Saum ihres Kleides und ihrer Ärmel fassen, damit sie auf diese Weise mit deiner Mutter in unsere lichte Welt gelangen!«
    Petrus tat, wie ihm befohlen. Aber das längste Seil, das er auftreiben konnte, reichte nicht bis zum Grund der Hölle. Da schnitt er sich die blonden Locken ab und stückte damit das Seil an. Dann rief er hinunter: »Höre, Mutter! Sündige Seele meiner Mutter! Ich habe dich freigebeten. Nimm das Seil als Kletterseil! Siebzig andere sündige Seelen sollen sich an deinen Rocksaum, sollen sich an deine Ärmel klammern!«
    Die Mutter hörte die Rufe und ergriff das Seil und kletterte.
    Und mit ihr die siebzig Seelen. Als sie aber das weiße Licht der Welt wiedersah, packte sie der Stolz, ergriff sie der Neid.
    Sie schüttelte sich und rief den siebzig Seelen zu:

»Laßt den Saum meines Kleides los, laßt meine Ärmel los, weicht zurück, ihr Schweinetöchter, ihr Hundesöhne! Ich habe den Sankt Peter gesäugt! Ich habe den Sankt Peter gewiegt!
    Wer von euch hat ihn gesäugt? Wer hat ihn gewiegt?« Als der liebe Herrgott das hörte, als der höchste Herrgott das vernahm, da ließ er das Seil brechen. Die sündige Seele der Mutter stürzte wieder in die Hölle zurück, die anderen Seelen entkamen.

    Sankt Peter möchte Gott sein

    UNSER LIEBER HERR wanderte mit Petrus durch das Ungarland.
    Da sagte der Apostelfürst plötzlich mitten in einem Gespräch:
    »Laß mich doch auch einmal Herrgott sein! Wenigstens für einen einzigen Tag. Ich werde dir zeigen, daß ich die Welt regieren kann!« Jesus gab sich große Mühe, ihm diesen törichten Gedanken auszureden. Aber Petrus hatte schon immer einen harten Schädel gehabt. Er ließ nicht ab von seinen Bitten, bis unser lieber Herr schließlich nachgab und sagte:
    »Nun, wenn du es nicht lassen kannst, dann regiere du heute, wie es dir gefällt. Ich möchte sehen, was dann aus der Welt wird.« Und da stand auch schon ein prächtiger goldener Thronsessel. Aber Petrus kam nicht dazu, sich zu setzen; denn von der anderen Seite kam eine Frau aus dem Dorf, die ihre Kuh mit dem Kälbchen vor sich her trieb. Petrus ging ihr entgegen und fragte, wohin sie denn mit der Kuh wolle. Die Frau antwortete: »Das Vieh muß nur auf die Wiese, zum Weiden.« Damit gab sie der Kuh ein paar Hiebe mit dem Stecken und kehrte um. Die beiden Tiere trotteten allein weiter. Petrus rief erstaunt hinter ihr her: »Ja, wer sorgt denn nun für die Kuh, damit sie nicht in fremde Felder geht?« Die Frau drehte sich noch einmal um und sagte: »Der liebe Gott wird schon für sie sorgen. Ich habe mehr als genug im Hause zu tun. Vier kleine Kinder warten auf mich.«
    Unser lieber Herr sagte lächelnd: »Hast du gehört, Petrus?
    Nun mußt du die Sorge für die Kuh und das Kalb
    übernehmen.« Und plötzlich hatte der heilige Petrus eine Hetzpeitsche um den Hals hängen. Er brauchte sie eher, als er gedacht hatte; denn das Kalb fing plötzlich an, jämmerlich zu brüllen, es ringelte den Schwanz, bockte ein paarmal und rannte, was es konnte, über Stock und Stein; und die alte Kuh immer hinter ihm her. Petrus blieb nichts anderes übrig, als mit seiner großen Peitsche auch hinterher zu rennen. Er rief immer wieder: »Hohö, mein Kühlein! Wohin denn, mein Kälbchen?
    Hohö!« Aber die guten Tiere verstanden seine Rufe nicht. Sie fühlten sich vielmehr von einem fremden Wesen verfolgt und rannten immer weiter, bis in den Mittag, bis in den
    Nachmittag, bis in den Abend. Die Sonne stand schon ganz tief, als der Apostel die müde Kuh endlich überholen und zurücktreiben konnte. Da standen sie nun wieder auf der alten Wiese, die Tiere waren abgetrieben und hatten den ganzen Tag nichts gefressen, und Petrus war todmüde, er konnte sich kaum mehr auf den Füßen halten und schimpfte furchtbar auf die Kuh. Er schimpfte mit Worten, die man sonst nicht aus dem Munde von Aposteln hört und die dem stellvertretenden Regenten der Welt schon gar nicht anstanden. Unser lieber Herr lachte, als er seinen Apostel so verzweifelt sah. Er sagte:
    »Das hast du nun davon! Du wolltest

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