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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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neuen Lehre der Christen überrede. Der Statthalter müsse Paulus dann hinrichten lassen, und Thamyris bekomme Thekla zur Frau. Eifersüchtig und zornig rief Thamyris hohe Beamte, Polizisten und eine große Menge Volks zusammen und zog mit ihnen am nächsten Morgen vor das Haus des Onesiphorus, um Paulus zu stellen. Laut schreiend rief er ihm zu: »Du hast die ganze Stadt der Ikonier betört! Du hast meine Verlobte dazu verführt, sich von mir abzuwenden! Auf! Zum Statthalter Kastilius!« Das Volk ließ sich mitreißen und rief: »Weg mit diesem Gaukler, mit diesem Zauberer! Er hat alle unsere Frauen betört!« Vor dem Tribunal erhob Thamyris laute Anklage: »Prokonsul! Dieser Mensch, von dem wir nicht einmal wissen, woher er kommt, dieser Gaukler verleitet unsere Jungfrauen dazu, nicht zu heiraten!
    Laß ihn darüber aussagen, warum er das lehrt!« Die beiden Abtrünnigen flüsterten ihm zu: »Bezeichne ihn doch als Christen! Damit lieferst du ihn dem sicheren Tod aus!« Der Statthalter aber rief Paulus auf und sagte: »Du hast die schwere Anklage gehört. Wer bist du und was lehrst du?« Paulus erhob seine Stimme und sprach: »Du hast mich gefragt, Prokonsul, so höre: Der lebendige Gott, der strafende Gott, der eifernde Gott, der allmächtige Gott, der für sich selbst nichts begehrt, hat mich gesandt, die Menschen vor der ewigen Verdammnis zu retten. Er will, daß ich sie wegziehe von den vergänglichen Dingen, von der Unreinheit, von aller Lust und von allen Lastern, die nur zum ewigen Tode führen. Er will, daß sie nicht mehr sündigen. Gott hat seinen eigenen Sohn in diese Welt gesandt, und ich verkünde die frohe Botschaft und lehre, daß er die einzige Hoffnung der Menschen ist, weil er als einziger mit dieser verirrten Welt Mitleid hatte; denn er will nicht, daß sie unter der ständigen Drohung des letzten Gerichts stehen, sondern daß sie Glauben haben, Gott fürchten und die rechte Würde erkennen und die Liebe zur Wahrheit. Wieso tue ich Unrecht, Prokonsul, wenn ich lehre, was Gott mir offenbart hat?« Der Statthalter hörte Paulus an und befahl dann, ihn zu fesseln und ins Gefängnis zu bringen.
    Als Thekla hörte, daß Paulus verhaftet worden war, schenkte sie dem Türhüter ihres Elternhauses ein wertvolles Armband und dem Gefängniswärter einen silbernen Spiegel, ging zu dem Apostel hinein und setzte sich zu seinen Füßen nieder.
    Paulus war frei von jeder Angst, erzählte ihr von den großen Taten Gottes und stärkte ihre Zuversicht und ihren Glauben.
    Thamyris aber und ihre Angehörigen fanden sie dort erst nach langem Suchen. Sie riefen wieder das Volk auf, zogen zum Statthalter und berichteten ihm.
    Da ließ der Prokonsul den Apostel und Thekla vor seinen Richterstuhl kommen. Das Volk aber schrie: »Er ist ein Gaukler! Er ist ein Zauberer! Weg mit ihm!« Der Statthalter ließ Paulus ausführlich über die heiligen Taten Christi berichten. Er hörte ihm sogar mit einem gewissen Wohlwollen zu. Dann fragte er Thekla, die dem Befehl, vor dem Tribunal zu erscheinen, mit Freuden gefolgt war: »Warum heiratest du nicht Thamyris nach dem Gesetze der Ikonier?« Sie aber stand da, gab keine Antwort und blickte unverwandt Paulus an. Da schrie ihre eigene Mutter laut auf und rief: »Verbrenne sie; denn sie bricht das Gesetz! Verbrenne sie; denn sie verletzt den Brautstand! Verbrenne sie mitten im Theater, damit alle Frauen, die sich von diesem Mann betören ließen, Furcht bekommen!« Der Statthalter zögerte lange mit seinem Urteil.
    Dann ließ er Paulus geißeln und zur Stadt hinausjagen, Thekla aber mußte auf den Scheiterhaufen.
    Das ganze Volk zog mit dem Statthalter ins Theater, um das unabwendbare Schauspiel zu sehen. Thekla aber war der Menge gegenüber allein und suchte wie ein verirrtes Lamm in der Wüste mit großen Augen den Hirten, den Apostel Paulus.
    Da sah sie am anderen Ende des Theaters, weit jenseits der Menge, den Herrn sitzen. Sie erkannte ihn aber nicht, denn er zeigte sich ihr in der Gestalt des Paulus, so daß sie bei sich dachte: »Nun ist Paulus erschienen, um nach mir zu sehen. Als ob ich allein nicht standhaft sein könnte!« Sie blickte unverwandt auf die Erscheinung. Aber der Herr ging davon in den Himmel. Jünglinge und Jungfrauen trugen Holz und Stroh und errichteten den Scheiterhaufen. Als man Thekla nackt hereinführte, kamen dem Statthalter die Tränen, so sehr beeindruckte ihn die Seelenkraft, mit der sie ihr Schicksal trug.
    Als die Henker sie auf den Scheiterhaufen

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