Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
Vom Netzwerk:
steigen ließen, breitete sie die Arme aus. Sie stand hoch oben wie ein Kreuz.
    Dann wurde ein gewaltiges Feuer angefacht, aber die Flammen rührten sie nicht an. Gott hatte Erbarmen: die Erde grollte und eine schwere schwarze Wolke schüttete ihr Wasser aus und löschte das Feuer. Viele kamen in Gefahr, manche wurden getötet, Thekla aber wurde gerettet.
    Sie verließ die Stadt und suchte Paulus. Nach sechs Tagen fand sie ihn bei dem Ort Daphne in einer offenen Grabanlage.
    Dort hauste er mit seinen Freunden aus Ikonium und fastete und bat Gott um die Rettung Theklas vor dem Feuer. Sie nahmen das Mädchen mit Freuden auf, dankten und priesen Gott für dieses Wunder, und Thekla sagte zu Paulus: »Ich werde mir die Haare abschneiden und dir nachfolgen, wohin du auch gehst.« Paulus warnte sie vor den vielerlei
    Versuchungen, denen sie sich aussetze. Da bat sie ihn, ihr das Siegel in Christus, die Taufe, zu spenden. Paulus aber sagte:
    »Thekla! Habe Geduld! Wenn die Zeit erfüllt ist, dann wirst du das Wasser der Taufe empfangen.«
    Paulus schickte seine Freunde wieder zurück nach Ikonium und brach mit Thekla auf nach Antiochia. Sie hatten die Stadt kaum betreten, da entbrannte ein vornehmer Syrer in Liebe zu Thekla, obgleich er sie nur im Vorbeigehen gesehen hatte. Er bot Paulus reiche Geschenke und Geld. Der Apostel aber sagte:
    »Ich kenne die Frau nicht, von der du redest. Ich habe auch nicht über sie zu verfügen.« Da umarmte sie der Syrer mitten auf der Straße. Thekla aber verteidigte sich, schrie, zerfetzte seinen Umhang, riß ihm den Kranz vom Kopf und machte ihn auf diese Weise vor allen Leuten lächerlich. Der mächtige Mann aber wollte die Schande nicht auf sich sitzen lassen und führte sie dem Statthalter vor. Thekla bekannte sich zu ihrer Tat und wurde zum Tierkampf verurteilt. Die Frauen der Stadt empörten sich gegen dieses Urteil und riefen: »Ein böses Urteil! Ein ruchloses Urteil!« Deshalb erlaubte ihr der Statthalter, bis zum Kampftag in das Haus der reichen Tryphäna zu ziehen, einer Frau aus königlichem Geschlecht, deren Tochter wenige Tage vorher gestorben war. Auf diese Weise blieb Thekla unberührt. Am Tag vor dem Tierkampf wurden die wilden Bestien in einem Umzug durch die Stadt geführt. Man setzte Thekla auf eine Löwin und band sie fest.
    Das Tier blieb aber ruhig und leckte ihr die Füße. Dieses ungewöhnliche Verhalten der Löwin brachte das Volk auf, und immer mehr schrien: »Ein ungerechtes, ein ruchloses Urteil soll in dieser Stadt vollzogen werden!« Dem Zug wurde eine Tafel mit der Aufschrift »Religionsschänderin« vorangetragen.
    Nach dem Umzug nahm Tryphäna die vereinsamte Thekla
    wieder zu sich und hielt sie wie ihre eigene Tochter.
    Am nächsten Morgen kam der reiche Syrer selbst, um Thekla in die Arena zu bringen. Tryphäna aber wies ihn schroff ab und schrie ihn an, daß er die Flucht ergriff. Da schickte der Statthalter Soldaten. Sie führten Thekla ab. Tryphäna wich nicht von ihrer Seite und jammerte um sie wie um ihre eigene Tochter. Im Theater aber erhob sich großer Lärm. Die einen riefen: »Bringt endlich die Religionsschänderin herein!«, die anderen schrien: »Fluch über diese Stadt! Töte uns Frauen alle, Prokonsul! Ein Schandurteil!« Und die wilden Tiere brüllten mit. Thekla wurde mit Gewalt von Tryphäna getrennt, man riß ihr die Kleider vom Leib und gab ihr nur einen kleinen Schurz.
    Dann wurde sie in die Arena gestoßen, und die Löwen und Bären wurden losgelassen. Eine wilde Löwin sprang als erste auf sie zu und legte sich vor ihre Füße. Die Frauen schrien laut auf. Da stürzte sich eine Bärin auf Thekla. Die Löwin stellte sich ihr entgegen und zerriß die Bärin. Ein zweiter Löwe kämpfte so lange mit der Löwin, bis beide zusammenbrachen und verbluteten. Da jammerten die Frauen noch mehr, weil nun Theklas Verteidigerin tot war. Thekla aber stand ruhig vor den wilden Tieren, hatte die Arme ausgebreitet und betete. Als sie ihr Gebet gesprochen hatte, wandte sie sich um und sah einen tiefen, mit Wasser gefüllten Graben. Da sprang sie in das Wasser und sprach bei sich: »Im Namen Jesu Christi nehme ich am letzten Tage meines Lebens die Taufe!« Die Frauen und das Volk aber riefen ihr zu: »Stürze dich doch nicht selbst ins Wasser! Die Robben werden deine Schönheit zerfetzen!«
    Sogar dem Statthalter kamen die Tränen. Da schlug ein Blitz in den Graben, und die Robben schwammen tot auf dem Wasser.
    Thekla aber umgab eine feurige Wolke,

Weitere Kostenlose Bücher