Das Hausbuch der Legenden
MAGDALENA, die Schwester der heiligen Martha und des heiligen Lazarus, war ein fröhliches und anmutiges Mädchen, auf allen Festen gefeiert und umschwärmt. Auch Johannes, der spätere Evangelist, verehrte sie und wurde so vertraut mit ihr, daß sie sich miteinander verlobten. Da kam unser aller Herr und rief Johannes auf, ihm zu folgen. Johannes verließ Vater und Mutter und seine junge, schöne Braut und wurde ein Jünger Christi. Maria Magdalena blieb unmutig und ohne Trost zurück. Bald verfiel sie anderen Liebhabern. Sie gab sich allen preis und verlor darüber ihren Namen; denn alle nannten sie nur noch die öffentliche Sünderin.
Eines Tages aber überkam sie der Ekel vor diesem Leben, und sie ging in das Haus des Pharisäers Simon, weil sie hörte, daß Jesus dort bei Tische saß. Dort weinte sie über ihre Schande. Sie wusch dem Herrn die Füße mit ihren Tränen und trocknete sie mit ihren Haaren, mit denen sie vorher viele verführt hatte. Als die Gastgeber das sahen, dachten sie bei sich: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, dann wüßte er, was für ein Weib ihn anrührt, er wüßte, daß sie eine öffentliche Sünderin ist. Da fragte Jesus den Simon: »Es hatte ein Gläubiger zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Groschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nichts hatten zu bezahlen, schenkte er’s beiden. Sage an, welcher unter denen wird ihn am meisten lieben?« Simon antwortete und sprach:
»Ich glaube der, dem er am meisten geschenkt hat.« Der Herr aber sprach: »Du hast recht gerichtet!« Dann aber wandte er sich dem Weibe zu und sprach zu Simon: »Siehst du dieses Weib? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser gegeben für meine Füße; sie hat aber meine Füße mit ihren Tränen genetzt und mit den Haaren ihres Hauptes getrocknet. Du hast mir keinen Kuß gegeben. Sie aber hat nicht nachgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salbe gesalbt.
Derhalben sage ich dir: Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt; welchem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.« Jeder weiß, daß Maria Magdalena dem Herrn seither treu folgte. Sie stand mit seiner Mutter und Johannes unter dem Kreuz, und ihr gab Jesus den Auftrag, den Jüngern mitzuteilen, daß er zu seinem Vater im Himmel aufgefahren war. Zwölf Jahre nach der Himmelfahrt Christi vertrieben die Juden alle seine Anhänger aus der Stadt Jerusalem. Der Apostel Petrus ließ nur eine kleine Gruppe unter der Obhut des heiligen Maximian zurück. Darunter war auch Maria
Magdalena. Die Juden aber luden diese Männer und Frauen auf ein Schiff und gaben ihnen weder zu essen noch zu trinken, sie gaben ihnen keine Segel und keine Ruder. So trieben sie übers Meer. Der Engel des Herrn führte das Schiff in den Hafen von Massilia (Marseille). Dort wohnten damals noch Ungläubige.
Sie nahmen die Fremden nicht auf und gaben ihnen auch nichts zu essen. Sie mußten unter freiem Himmel lagern und litten große Not. Da stand Maria Magdalena auf und predigte den Heiden mit heiligem Eifer. Sie erzählte ihnen von Jesus Christus und von dem einigen Gott, sie stellte ihnen die Torheit der Abgötterei vor Augen und rief sie auf zu ihrem neuen Glauben. Sie bezauberte die Menge mit der Gewalt ihrer Rede und mit ihrer Schönheit, sie überwand den Unglauben mit ihrem Glauben, und viele wurden bekehrt. Um diese Zeit kam der mächtige Fürst des Landes mit seiner Frau nach Massilia, um den Götzen zu opfern und sie um einen
Nachfolger zu bitten. Er ließ sich von Maria Magdalena nicht überzeugen. Da erschien sie seiner Frau und ihm des öfteren im Traum und forderte sie auf, den Christen zu helfen. Da nahm der Fürst sie mit den Ihren in sein Haus und erklärte ihr:
»Ich nehme deinen Glauben an, wenn du mir durch deinen Gott einen Erben verschaffst.« Maria Magdalena betete zu Gott für den Fürsten. Bald darauf fühlte die Fürstin sich schwanger.
Maria Magdalena blieb in Massilia, wo Maximian Bischof wurde. Sie tat dort noch viele Zeichen und Wunder. Eines Tages aber war sie der Welt überdrüssig. Sie verließ die Gemeinde und ging in die Wildnis, in eine rauhe Gegend, in der es weder Wurzeln noch Bäume, in der es nicht einmal Quellen gab. Dort fand sie eine Höhle, in der sie dreißig Jahre lang beschaulich lebte. Sie aß und trank nicht. Der Herr aber sandte ihr alle Tage seine Engel, welche sie sieben Stunden lang in die Lüfte hoben. Hoch über den Wolken
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