Das Hausbuch der Legenden
ihn und stellten die Verbindung mit ihm wieder her. Andere Mönche ließen ihn durch eine Abordnung dazu auffordern, die neue und befremdende Lebensweise sofort aufzugeben. Sollte er nicht von selber heruntersteigen, dann würden sie ihn mit Gewalt auf die Erde zurückholen. Die Archimandriten von Antiochien ließen ihn sogar durch den Bischof zum Verlassen der Säule auffordern. Symeon war bereit, dem Befehl seines Bischofs zu folgen. Dieser bedingungslose Gehorsam
beeindruckte den Abgesandten aus Antiochien so sehr, daß er die Säule weihte und dem Styliten die Hostie reichte.
Symeon starb an einem Freitag, ohne daß seine Schüler es merkten. Erst zwei Tage später wurde Bischof Martyrius von Antiochien benachrichtigt. Mit sechs anderen Bischöfen holte er den Toten ein und brachte ihn mit großem Gefolge nach Antiochien, um ihn dort beizusetzen.
Marinos, der Eunuch
DIE MUTTER der heiligen Marina war früh gestorben. Der Vater trat darauf mit seiner einzigen Tochter in ein Kloster ein.
Er hatte das Mädchen als Knaben verkleidet, weil er sonst nicht aufgenommen worden wäre. Sieben Jahre später starb er.
Niemand hatte bisher bemerkt, daß Marina ein Mädchen war.
Sie blieb als Mönch im Kloster und erhielt den Namen Marinos. Der Vorsteher des Klosters erzog den Knaben selbst und führte ihn in die Regeln des Ordens ein. Der junge Mönch legte sich außergewöhnliche Askesen auf und lebte
zurückgezogen. Weil ihm kein Bart wuchs, gaben ihm die Mönche den Namen »Marinos, der Eunuch.« Als er mit
anderen Mönchen zusammen in einem Raum untergebracht werden sollte, bat er den greisen Abt, ihn allein zu lassen: »Ich schäme mich, wenn ich mit einem Menschen Zusammensein muß.« Daraufhin gab ihm der Abt die Zelle seines Vaters, und er galt den anderen bald als Vorbild eines Asketen.
Jedes Jahr zog ein Teil der Mönche nach Ägypten, um
Kranke zu pflegen, im Dienste der Barmherzigkeit gute Werke zu tun und für das Kloster die notwendigen Lebensmittel zu sammeln. Die Brüder baten den Abt, ihnen Marinos den Eunuchen mitzugeben. Er sollte ihre Fuhrwerke bewachen und die Ladungen pflegen. Sie ahnten nicht, daß der böse Feind ihnen eine Falle stellen wollte.
Die Brüder wohnten in Ägypten lange Zeit vor den Toren einer Stadt, deren Bürgermeister ihnen wohlgesinnt war. Er schickte ihnen Liebesgaben auf ihren Berg und empfing dafür den Segen der Mönche. Er hatte auch eine mannbare Tochter, die sehr umworben wurde. Ein junger Mann aus ihrer Familie gewann das Spiel, nahm ihr die Jungfernschaft und machte sie schwanger. Als der Zustand des Mädchens nicht mehr zu verheimlichen war, beschlossen die beiden, die Schuld dem jungen Mönch Marinos zuzuschieben. Ahnungslos beluden die Brüder ihre Wagen und kehrten ins Kloster zurück. Wenige Tage später wurde die Schande des Mädchens ruchbar, und Marinos wurde für den Fehltritt verantwortlich gemacht.
Der Konvent der Mönche verhörte Marinos nur kurz. Er leugnete weder, noch gab er seine Schuld zu, er schwieg. Da verstießen sie ihn. Er mußte das Kloster verlassen und für das Kind sorgen. Marinos erhob sich von der Anklagebank, warf sich vor den Mönchen auf den Boden, und bat sie mit der Stimme eines armen Sünders: »Verzeiht mir, meine Herren!
Ich werde tun, was ihr gebietet.« Sie befahlen ihm, aufzustehen und das Kloster zu verlassen. Er gehorchte und ging in die Stadt. Als er zurückkam, mußte Marinos bei dem Bruder Pförtner klopfen, damit er ihm das Tor öffne. Der Torhüter kam heraus. Er ließ sich das Knäblein zeigen und bewunderte die Demut des ausgestoßenen Mönches. Er fragte ihn: »Was wirst du nun tun?« Marinos aber antwortete: »Ich werde den Lebensunterhalt für diese kleine Seele suchen. Ich bitte dich, vergiß mich nicht und denke an mich auch in deinen Gebeten!
Und sei so gut und hebe mir diese Schilfrohre und Matten auf.
Sie sind meine Hütte. Ich werde am Leben bleiben und eines Tages kommen, sie zu holen.«
Dann nahm er den Knaben auf den Arm und ging wieder in die Stadt. Das Kind weinte sehr. Er brachte es zu einer Hebamme und bat sie flehentlich: »Sei so gut und betreue mir diesen Knaben um Gottes willen, wie du es verstehst. Ich werde arbeiten und dir pünktlich deinen Lohn bringen. Und dann suche mir eine Frau, die das Kind für den üblichen Lohn säugt. Du wirst dir damit Gottes Lohn verdienen.«
Die Hebamme nahm das Kind zu sich, verband den Nabel, streute Salz auf den kleinen Leib und badete den Knaben. Sie
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