Das Heerlager der Heiligen
erkennbare Form behalten. Jedesmal am Ostermontag werden weiße Lilienbanner aufgezogen und der Staat erweist seine Ehrerbietung. Die Volksmenge drängt zur Pilgerfahrt und zieht dann schweigend den ganzen Tag am Strand vorbei. Aber auch hier wird die Geschichte verfälscht. Man hat sich auf Cortez berufen, ein Cortez, der vor der Landung seine Schiffe zertrümmert hätte, statt sie zu verbrennen. Der Mythos spricht hier von einem politischen Willen und einem reiflich erwogenen Plan, wo jeder Handelnde genau wußte, was er tat. Aber damals ist keine bejammernswerte Masse gelandet, sondern eine Armee von Eroberern. Die Schulkinder, welche das Torpedoboot ansehen, spucken voll Stolz darauf. Ich weiß jedoch, daß nur ein paar lächerliche Minuten genügt hätten, und der Sturm hätte mit einem Schlag die Flotte samt ihren schwarzen Passagieren vernichtet. Ich weiß ebenso, daß Gott uns diese gnadenvollen Minuten nicht geschenkt hat.
Der Sturm war schon im Abflauen, als zwei Flugzeuge zur Landung auf dem Flugplatz der Côte d‘Azur ansetzen wollten. Wollten, denn ihre Piloten hatten rasch erkannt, daß das Gelände völlig verlassen war. Der Kontrollturm schwieg, der Parkplatz war leer, die Bodenbeleuchtung erloschen, ebenso die Leitblinkfeuer. Trotz des schlechten Wetters wollten sie dennoch landen. Beladen mit Lebensmitteln und vollgestopft mit geistlichen Sturmtruppen, die zwischen Bergen von Kisten höchst unbequem eingeklemmt waren, zogen die beiden Flugzeuge am schwarzen Himmel tapfer ihre letzten Anflugkurven. Das eine Flugzeug war weiß, das andere grau. Wir haben bereits die Musketiere der kämpfenden Nächstenliebe für die Dritte Welt erkannt, diese Helden von Sao Tomé. Auf der einen Seite das weiße Flugzeug des Vatikans, auf der anderen das graue Flugzeug des Ökumenisches Rates der protestantischen Kirchen. Keiner der fliegenden Geistlichen hatte dem vieldeutigen Ruf der Gerechtigkeit widerstehen können. Die Ladungen, die sie brachten, dienten wie immer als Vorwand. Wichtig war, als erste da zu sein und durch die symbolische Gegenwart die Schlüssel zum Abendland anzubieten, das munter geopfert wird, auf daß die neue Welt geboren werde.
Aber das Ende der Zyklone ist oft furchtbar. Der abflauende Sturm holte zum letzten Schlag aus. Eine dicke, schwarze Wolke, von Blitzen durchzuckt, hüllte das kleine Geschwader ein. Die Lichter der Führerkabine erloschen, während gleichzeitig alle Nadeln der Bordinstrumente Null anzeigten. In solchen Fällen gibt man Vollgas und jagt gen Himmel. In der sie umgebenden Nacht taten die Piloten sofort das gleiche. Aber das Auge des Zyklons wachte. Ein riesiges Luftloch in Form eines Kamins war entstanden. Bei niedriger Höhe durften sie daher das Manöver nicht wagen, obwohl der Vorgang ein Phänomen von äußerster Seltenheit war. Fast geordnet wie bei einem Landebahnanflug wurden beide Flugzeuge auf den Boden gedrückt und zerschellten. Zuerst das weiße, dann das graue. Explosion. Brand. Es gab keine Zeugen, außer dem lächelnden Herrn Calguès an seinem Fernrohr, und auch keine Überlebenden. Für wenige elende Minuten, während denen sich Gott seinem Volk entzogen hatte, hat er sich trotz allem immerhin entschädigt.
Etliche Historiker – allerdings nur sehr wenige – haben eine seltsame Hypothese aufgestellt. Danach habe sich Benedikt XVI. in dem weißen Flugzeug befunden und sei bei der Katastrophe umgekommen. Da man hinterher in den Trümmern des Apparats nur verbrannte Knochen gefunden hat und kein Gegenstand oder ein Kleidungsstück die Identifizierung einer Person ermöglichte, so fehlt jeder Beweis für diese Hypothese. Andererseits hörte man aber sonst nichts mehr von Benedikt XVI. Es war, als ob er sich in den labyrinthischen Schluchten des Vatikans verflüchtigt hätte. Seit seiner Botschaft am Karfreitag im Zeichen der universellen Nächstenliebe hatte er kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Man erzählte sich, er habe sich, ins Gebet versunken, freiwillig in seine Wohnung unter den Dächern des Vatikans eingeschlossen und sei nie wieder erschienen.
Aber immerhin waren so plötzliche impulsive Reisen seine Art. Um das verlorengegangene Ansehen seines ängstlichen Vorgängers wiederzugewinnen, hatte er schon dreimal das Kommando über sein weißes Flugzeug übernommen und war auf einem Schlachtfeld gelandet. Besonders in Rhodesien hatte seine Aufsehen erregende Ankunft den Fall von Salisbury herbeigeführt, wo sich übrigens auch Jean Orelle
Weitere Kostenlose Bücher