Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
Vom Netzwerk:
Der erste Stoß war entscheidend, die andern vollendeten nur die Zerstörung der Flotte. Nach einem gewaltigen Schub von hinten, der den Rumpf der KALKUTTA STAR erzittern ließ, war sie plötzlich wieder flott und begann zu schwimmen. Die brutale Erschütterung hatte einen Mann aufgeweckt, der in weiße Lumpen gehüllt völlig allein am Fuß eines Kamins in der Apathie seiner Einfalt dahindöste. Monsignore Bischof, katholischer apostolischer Präfekt vom Ganges, öffnete die Augen. Auf der vom Regen gepeitschten Brücke sah er Rostflecken, die er nie wahrgenommen hatte, solange dort vorher die Menschen während der ganzen Reise dicht nebeneinander gelegen hatten. Das Schiff klang hohl wie ein leeres Grab. In den rissigen Kaminen verfing sich der Wind. Er pfiff in diesen Orgelröhren in höllischen Mißtönen, die von gewaltigem Krachen unterbrochen wurden. Auf dem ganzen Schiff klapperten die Türen. Die Treppenluken hoben sich senkrecht und fielen wieder dröhnend zu. Es klang, als ob der Wind ein ungeheures Fagott blasen würde. Der vielfältige Lärm und die Stöße nahmen kein Ende. Alle Spieren, Leitern, Netze und Fallreeps, auf denen oder mit denen sich die Menschenmasse abgesetzt hatte, schlugen wie bei einem irren Tanz im Rhythmus auf die Bordwand. Es klang ähnlich wie ein Trupp galoppierender Reiter auf einer Metallbrücke oder wie Hagel auf einem Blechdach, nur hundertmal stärker.
    Der Bischof drückte seine Hände flach auf die Schläfen, daß es schmerzte, und verstopfte sich die Ohren. Gleichzeitig rief er: »Meine Kinder! Meine Kinder!« Zweifellos dachte er an die Kleinen, die ihm im Schatten des Kamins zu essen und zu trinken gebracht hatten und denen er mit einem freundlichen Klaps auf die Wange oder mit einem Kreuzzeichen auf die Stirn, je nach seinem augenblicklichen Geisteszustand, gedankt hatte. Jetzt war aber das Schiff leer, ebenso alle andern Schiffe ringsum. Der Regen klatschte auf sein erstauntes Gesicht. Die Schauer trafen ihn so stark, daß es ihm den Atem verschlug. Keuchend rief er »Meine Kleinen, meine Kleinen!« Diesmal dachte er an die alten Frauen, die in der Nacht zu ihm gekrochen waren und deren Hände ihm das Paradies auf Erden bereitet hatten. Nun merkte er, daß er allein war und daß man ihn vergessen hatte. Weinend wie ein Kind ließ er die Arme kraftlos niedersinken. Dann machte er seine Ohren frei. Aber der Lärm schmetterte ihn nieder wie ein doppelter Boxerhaken.
    Seine Betäubung dauerte nur wenige Sekunden. Als er auf allen Vieren über die Brücke kroch, die sich plötzlich neigte, hatte er unter dem Schock zweifellos einen Teil seines Verstandes wiedererlangt. Das nützte ihm nicht viel. Vom Sturm gepackt, hatte sich die KALKUTTA STAR auf die Seite gelegt. Die Kaminrohre brachen ab und rollten ins Wasser. Die riesige Orgel verstummte. Auf dem Schiff hörte der Galopp der Spieren allmählich auf und man vernahm nur noch das Rauschen des Wassers, das in das Schiff eingedrungen war und sich wie ein Wasserfall über die Brücke ergoß. Er hörte sich murmeln: »Wir werden zwei uneinige Sterbende sein, Herr Konsul, das ist alles.« Der Konsul antwortete ihm: »Im Namen Gottes, Monsignore, pfeife ich auf Sie!« Er glaubte wenigstens solches zu hören. Da er von der Flut weggetragen wurde, die auf der Brücke alles, was von den Oberbauten noch da war, wegriß, sah er im feuchten Nebel nur Schatten von Hunden, die im Dunkel eines Kais in Kalkutta eine Blutlache aufleckten. Im Kampf gegen den Sturm war er heftig gegen eine eiserne Winde gestoßen. Eine von Blut gerötete Hand ging an seinen Augen vorbei. Jetzt begriff er, daß er sterben werde und daß dieses Blut wohl das seinige ist. Ein lateinischer Satz war nicht zu sehen. Der Bischof vom Ganges war nicht mehr verrückt. Er sprach nur noch: »Herr, Dein Wille geschehe!« Dann schlug sein Kopf auf der Reling des Schiffes auf. Sein Körper schwankte einen Augenblick und kippte über Bord ins Meer, das sich bereits beruhigte. »Wer seid Ihr?« brummte eine gutmütige Stimme. »Ich bin der Bischof vom Ganges.« »Hm! Hm!« ertönte die Stimme. »Nicht berühmt! Seid Ihr wenigstens bußfertig?« »Ich glaube wohl.« »Nun gut, tretet ein, lieber Freund! Tretet doch ein! Alles ist vergessen – Dorthin! Dorthin! Folgt. Bastian und Pedraton werden Euch den Weg zeigen …«
    Von der Flotte blieben nur noch unförmige Gerippe übrig, die längs des Strandes verstreut lagen. Nur ein kleines Torpedoboot hatte noch seine unklar

Weitere Kostenlose Bücher