Das Heerlager der Heiligen
Aufnahmeplan im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit zu erörtern, der uns in jedem Fall in die Lage versetzt, daß wir die Folgen unserer Großzügigkeit nicht allein zu tragen haben!«
»Bei fünf Knoten Geschwindigkeit«, sagt Machefer, »könnte die Flotte, selbst wenn sie um Afrika herumfahren müßte, draußen vor der Küste der Provence ungefähr in eineinhalb Monaten aufkreuzen. So viel Zeit braucht man etwa, um die Geschäftsordnung einer internationalen Kommission aufzustellen. Bis die Flotte ihr endgültiges Bestimmungsziel zu erkennen gibt, wird niemand großen Eifer an den Tag legen, und auch dann, wenn es soweit ist, wird jeder leise die Kommission verlassen und es dem glücklichen Betroffenen anheimstellen, wie er allein zurechtkommt. Und wenn Frankreich das Los zieht, Herr Minister, dann können Sie mir glauben, daß unsere Freunde froh sind, uns diese Menschen überlassen zu können! Ich wiederhole daher meine Frage …«
»Sie wiederholen überhaupt nichts, Herr Machefer. Ich entziehe Ihnen das Wort!«
»Es handelt sich um eine Million Einwanderer!« brüllt Machefer, während im Saal ein Tumult entstand.
Dio, der in der zwanzigsten Reihe ruhig auf seinem Stuhl saß, trampelte mit den Füßen, rührte aber sonst keinen Muskel. Fünfhundert Journalisten trampelten ebenfalls mit den Füßen. Seien wir gerecht! Sieben mindestens nahmen davon Abstand. Sie vertraten zweiundvierzigtausend Leser.
»Ich habe Ihnen das Wort entzogen, Herr Machefer! Zwingen Sie mich nicht, die Saalordner zu rufen. Das wäre das erste Mal bei einer Pressekonferenz. Ihre Haltung steht im Gegensatz zur humanitären Aufgabe Frankreichs, die ich Ihnen im Namen der französischen Regierung heute eindeutig klarmachen mußte.«
»Kapelle, Tusch!« dachte der Präsident.
»Die Herren Journalisten aus dem Ausland, welche die Presse der Dritten Welt vertreten, werden von mir herzlich gebeten, keine Meinungen zu berücksichtigen, die von der einmütigen Meinung des französischen Volkes völlig abweichen. Ich bin überzeugt, Sie werden dies morgen in der nettesten Form berichten.«
»Wir sind da bei einem hübschen Spiel«, bemerkte Dio zu seinem Stellvertreter. »Halten Sie Ihren Federhalter bereit. Wer sich am härtesten schlägt, gewinnt die Herzen.«
Der Tonfall des Ministers senkte sich plötzlich um mehrere Stufen, als ob er den Glauben verloren hätte, wie ein Verwundeter sein Blut. Und er verlor ihn wirklich. Er verlor ihn beim Klang eines lieben, kurz zuvor gefallenen Wortes, das ihm im Unterbewußtsein wieder hoch kam: Provence, Provence, Provence…
In der Provence am Hang eines duftenden Hügels nahm ein altes Bauernhaus, das durch Nobelpreis-Millionen in ein Paradies verwandelt worden war, den Minister jeden Sommer, an Ostern, an Weihnachten und am Dreifaltigkeitsfest auf. Wenn man Jean Orelle heißt und Prophet seiner Zeit, Held der großen vergangenen Revolution, Freund toter Führer und Berater der Großen der Welt ist und das Alter kommt und will alles ausradieren, weil die Zeit einfach vorbei ist, sich mit Ideen zu beschäftigen, sondern dazu da, sich im Schatten einer hundertjährigen Kiefer zu erfrischen, soll man da nicht aus schlichter Treue zu sich selbst noch ein letztes Mal den Kopf erheben? Man lächelt vielleicht darüber, und es mag ein mit Tränen vermischtes Lächeln sein, wie eine Würdigung des Vergänglichen. Der Minister hob den Kopf hoch.
»Sind noch weitere Fragen da?« bemerkte er mit einem müden Ton.
Es gab noch verschiedene Fragen von nebensächlicher Bedeutung. Im Grunde genommen war alles gesagt worden. Nur ein Journalist aus Gabun wollte noch wissen, »was man den Brüdern der Emigrantenflotte zu essen geben würde, denn es komme nicht darauf an, daß man gibt, sondern daß man es mit Vorbedacht gibt«.
Endlich ist wenigstens einer da, der begriffen hatte. Dio behielt sich das Schlußwort vor:
»Herr Minister, wenn man von allem absieht, glauben Sie, daß die Leute noch eine Chance haben?«
»Eine Chance! Eine Chance!« antwortete der Minister. »Weiß man, ob der Mensch überhaupt je eine Chance hat?«
Er zog sich gut aus der Schlinge. Dio beherrschte sich. Ein genialer Zug! »Die Armada ist die letzte Chance«, sagte er.
Das Wort wurde zwar nur halblaut ausgesprochen, gerade, daß es noch gehört werden konnte, aber es schlug ein. Da es in der Folgezeit tausende Male verwendet wurde, hat vielleicht seine Stoßwirkung zur Lähmung des Westens geführt. Schlägt man nicht
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