Das Heerlager der Heiligen
Schwarze.
»Die mir die Ehre geben, mir jeden Tag zuzuhören und mich zu ermutigen, wissen, daß ich kein Blatt vor den Mund nehme. Man findet sich mit dem Elend und der Ungerechtigkeit ab. Dies entschuldigt den Gebrauch harter Worte. Erinnern Sie sich! Wenn ich mit Ihrer Hilfe das Los griechischer Deportierter mildern konnte und wenn es mir gelang, das schändlichste Kollektivverbrechen zu verhindern, nämlich die Hinrichtung eines unschuldig zum Tode Verurteilten, dann deshalb, weil ich eine harte Sprache gesprochen habe. Nun, heute komme ich mit einer Nachricht in Ihre Wohnung, die eine Million freiwillig Deportierter betrifft, welche Opfer des ungeheuerlichsten Justizirrtums aller Zeiten geworden sind. Ich werde dabei mit der gleichen Unbekümmertheit und Entschiedenheit sprechen. Mögen diejenigen, welche ruhig essen wollen, für fünf Minuten ihr Radio abstellen …!«
»Marcel! Horch! Durfort hat noch etwas gefunden!«
»Josiane, sieh zu, daß das Kind etwas still wird!«
In den bescheidenen Mietshäusern goß man sich schnell ein Glas Rotwein ein, denn so eine Herzenssache geht besser unter die Haut, wenn man sie begießt. In der Salonecke der vornehmen Appartements begoß man sie mit Whisky, wenn auch auf feinere Art. Statt gierig zu trinken, stellt man, um die geistige Nahrung besser in sich aufzunehmen, während der Sendung das Glas bedächtig hin. Man bändigt in wonniger Erregung den Durst, um ihm dann in einem Orgasmus als Krönung des Koitus mit dem Ereignis freien Lauf zu lassen.
Dreitausendzweihundertsiebenundsechzig Pfarrer kritzeln fieberhaft eine Predigt für den nächsten Sonntag, frei Haus geliefert, was mit dem für diesen Tag vorgesehenen Evangelium nichts zu tun hat. Aber was kümmert es schon. Bei solchen Einzelheiten hielt man sich schon längst nicht mehr auf. Unter den Statisten war auch ein katholischer Geistlicher. Er war verheiratet, aber zugleich ein betrogener Ehemann. Er wußte dies zwar, trug aber seine Hörner in christlicher Geduld. Dieser völlig neue und beschämende Zustand brachte jedoch den Unglücklichen derart durcheinander, daß er schon mehr als einen Monat lang jeden Sonntag seine Predigt versäumte. Albert Durfort riß ihn mit seiner Roßkur aus der Sterilität. Die Prozedur wirkte derart, daß der Gehörnte mit den gesalbten Händen seine gesegneten Hörner bald vergaß und mit neuer Kraft zu donnern und zu verdammen begann, so daß er der beste Sammler der masochistischen Gläubigen seiner Diözese wurde. Vielleicht begegnen wir ihm wieder …
Zweiunddreißigtausendsiebenhundertzweiundvierzig Lehrer entdeckten in der gleichen Sekunde das Arbeitsthema für den Unterricht am nächsten Tag. »Beschreibt das Leben an Bord der Schiffe der unglücklichen Armada. Schreibt, was für Gefühle Ihr für sie hegt, wobei Ihr zum Beispiel davon ausgeht, daß eine dieser verzweifelten Familien Euch um Gastfreundschaft bittet.«
Fabelhaft! Der liebe kleine Engel mit der naiven Seele und dem empfindsamen Kinderherz wird auf vier Seiten einen kindlichen Unsinn hinblättern, der die Pförtnerinnen zum Weinen bringt. Er wird Erster werden. Man wird seinen Aufsatz in der Klasse vorlesen und alle Klassenkameraden werden sich ärgern, weil sie mit ihren Tränen zu knauserig waren. Auf diese Weise macht man heutzutage die Menschen zurecht. Auch ein herzloser Balg, der sonst alle Voraussetzungen für ein erfolgreiches Leben besitzt, muß sich ins Zeug legen, weil eben alle Kinder Angst haben aufzufallen. Er muß dem Zug der Zeit folgen und sich heuchlerisch den Aufsatz über diesen humanitären Blödsinn aus den Rippen schwitzen. Da er begabt ist, wird er dabei sogar glänzen, und am Ende glaubt er auch noch daran, denn diese Jungen sind nie schlecht, sondern einfach urwüchsig unverdorben.
So geht einer wie der andere stolz über den schönen Aufsatz nach Hause. Der Vater kennt das Leben. Nachdem er zwanzigmal das Meisterwerk gelesen hat, wird er schließlich erschrecken, wenn er daran denkt, daß diese achtköpfige, fremde Familie in seiner Dreizimmerwohnung untergebracht werden soll, und den Aufsatz kurzerhand einschließen. Man darf den kleinen Engel nicht enttäuschen, man darf auch nicht schimpfen, und man darf auch seine anständigen Empfindungen nicht verletzen, selbst auf die Gefahr hin, daß er später ein unheilbarer Einfaltspinsel wird. Vor Rührung wird der Vater die vor Freude geröteten Wangen des kleinen Engels tätscheln und sich sagen, daß er ein gutes Kind ist.
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