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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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diese Idee mit dem Sicherheitsgürtel gehabt?« fragte der Staatssekretär.
    »Ich«, seufzte der Präsident. »Ich habe lange gezaudert. Aber als ich diese Abwanderungsbewegung sich steigern sah, habe ich mir gesagt, daß man sie nicht mehr aufhalten kann. Es ist eine alte Gewohnheit, die sich in Zeiten des Wohlstands und des Reichtums immer besonders bemerkbar macht. Man sollte diese Bewegung beschleunigen und daraus möglichst Nutzen ziehen. Ich habe gedacht, wenn man damit im Hinterland die moralische Feigheit beseitigen könnte, würde der Armee eine Chance für ihre Aufgabe bleiben. Der Rest, die Mahnung, Ruhe zu bewahren und der täglichen Arbeit nachzugehen, wäre dann überflüssig.«
    »Leider gibt es keine Epidemien mehr wie im Mittelalter, Herr Präsident, das weiß jeder.«
    »Nun«, erwiderte der Präsident, »diejenigen, die unter einem Vorwand fliehen, statt ihren Besitz zu verteidigen, werden diese Epidemien vielleicht erleben. Ich muß dies meinen Hörern beibringen, nicht wahr?«
    Er wandte sich dem Radio zu.
    »Nach diesen Erklärungen«, hörte man die Stimme des Journalisten, »hat Clément Dio in Begleitung seiner Frau, der Schriftstellerin Nan-Chan, und einigen Freunden sofort die Hauptstadt verlassen. Er will alle, die ihm beipflichteten, an der Küste treffen …«

31.
     

    … Mit höchster Geschwindigkeit fährt Clément Dio in seinem Wagen auf der Autobahn nach Süden. Er überholt Infanteriekolonnen auf Lastkraftfahrzeugen, die hinten offen sind. Auf Bänken sitzen dicht gedrängt junge Soldaten. Die Armee hat sich wohl geändert. Ist sie traurig? Die Soldaten drehen sich nicht einmal um, um die prächtige rote Kiste mit der mächtigen Kühlerhaube zu bewundern. Iris Nan-Chan ist sehr hübsch, aber die jungen Soldaten werfen ihr weder Kußhändchen zu, noch lachen sie, um sich bemerkbar zu machen, noch schlagen sie sich auf die Schenkel oder machen lose Witze. Nicht einmal eine unanständige Geste dieses Muschkoten, der das elfenbeinfarbene, unnahbare Fleisch an seinem Lastkraftwagen vorbeifahren sieht. »Sie macht einen guten Eindruck, unsere Armee«, sagt Dio. »Man kann nicht behaupten, daß sie singend in den Krieg zieht.«
    Er freut sich darüber. Es ist ein wenig sein Werk. Ah! Was war das ein schöner Kampf, als die Armee sich noch gegen die Verbreitung einer gewissen Presse in den Mannschaftsstuben und Soldatenheimen sperrte und man gegen sie vor Gericht ging. Der Prozeß wurde haushoch gewonnen. Seit zehn Jahren liest man »La Pensée Nouvelle« und »La Grenouille« und anderes dazu in allen Regimentern Frankreichs und Navarras. Auch in den Gefängnissen. Die Zeitungen hatten ihr Geschäft gemacht. »Du bist gerächt, kleiner Ben Souad«, sagte Dio. Er hatte vor kurzem unter seinen Familienpapieren einen Vertrag gefunden, wonach seine Großmutter, eine schwarze Haremssklavin, an ein französisches Offiziersbordell in Rabat verkauft worden war. Warum hat eigentlich sein Vater, der unter dem Protektorat ein braver marokkanischer Beamter war, dieses häßliche Zeugnis einer Vergangenheit aufbewahrt? Aus Haß, mein Lieber, aus Haß!
    An den Autobahngebührenstellen stehen fahrbare Einheiten. Es sind stämmige Schwarze mit Helmen. Sie sind auch nicht fröhlich. »Es wird davon abgeraten, die Straße nach dem Süden zu benutzen.«
    »Abgeraten! Was soll das heißen, Herr Oberleutnant?«
    »Das zu beurteilen, müssen Sie uns überlassen«, brummte der ordengeschmückte Oberleutnant und wirft einen Blick auf die rote Kühlerhaube, auf die hübsche Eurasierin und auf die schwarze Haut und die gekräuselten Haare des Fahrers. »Los, umkehren!«
    »Sind Sie Rassist, Herr Oberleutnant?«
    »Ich? Rassist? Sie machen wohl Spaß!«
    Heutzutage ist niemand mehr Rassist. Zum Glück kommt man dabei ganz gut zurecht. Die Polizei allerdings weniger als andere. Aber dafür wird sie bezahlt. Dios Presseschild ist ein Sesam, öffne dich. »Wir bitten um Entschuldigung. Sie können weiterfahren!«
    Seit ein paar Jahren macht das Presseschild alles möglich, wenn es in guten Händen ist. Man hat dafür lange gekämpft … Auf der Gegenfahrbahn wird der Verkehr lebhaft. Dio schaut auf die Uhr. Es ist bald Samstag. Ostersamstag! Jetzt ist die Autobahnstrecke von Süden nach Norden mit der Sonne im Rücken plötzlich verstopft. Ein Wochenendbild im umgekehrten Sinn. Dio verachtet diese Hammelherde, wie er übrigens auch die verachtet, die der Sonne entgegenfahren. Er lächelt. Seine Frau lächelt. Ihre

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