Das Heerlager der Heiligen
Oberst hat sich nicht einmal umgewandt. Mit donnerndem Lärm folgen drei weitere Panzer. Dann noch einer. Damit war alles vorbei. Als die Kavallerie von Chamborant 1813 aus dem Rußlandfeldzug heimkehrte, hatte sie doppelt soviel Überlebende wie andere Einheiten.
Dio kann seinen Blick nicht von der Blutlache auf der Straße abwenden. Neben ihm unterdrückt ein Offizier still seine Tränen.
»Wie heißt dieser Held?« fragt Dio.
Der Offizier versteht ihn falsch. »Er?« sagt er bestürzt, weil er sieht, daß Dio auf den Blutfleck zeigt. »Ich kenne ihn nicht. Er hat gesagt, er heiße Paul.«
»Nein«, erwidert Dio. »Ich meine nicht Paul, sondern den dort, der wegfährt, den dekorierten Mörder!«
»Ah, der Oberst?« sagt der Offizier, »Oberst Konstantin Dragasès.«
»Welch seltsamer Name«, denkt Dio. »Konstantinopel, 29. Mai 1453. Konstantin Paléologue, genannt Dragasès, letzter Kaiser von Byzanz.« Der Offizier hat noch nicht einmal protestiert, als Dio das Wort »Mörder« gebrauchte. Mörder, Mörder, warum nicht? Das Wort geht um. Der Offizier indessen springt über die Schutzrampe der Autobahn mit der Geschicklichkeit, wie auch er sie während der Ausbildung gelernt hatte. Dann taucht er in der im Mondlicht liegenden Landschaft unter …
Dio hat sich wieder ans Steuer gesetzt und fährt los, was der Wagen hergibt. Das ist keine Nacht, um in einem idiotischen Schrotthaufen zu sterben. Keinesfalls! Er fühlt sich unsterblich. Drei Kilometer weiter überholt er die fünf Panzer des Obersten Dragasès. Er lacht. Er ist glücklich. Da taucht die Gebührenstation von Villefranche auf, eine stark beleuchtete Oase. Auf dem Parkpatz stehen zahlreiche Motorfahrzeuge. Dabei Silhouetten mit Helmen und Stiefeln. Eigentlich drollige Helme für Gendarmen! Weiße, rote, blaue Helme mit einem senkrechten phosphoriszierenden Balken.
»Wer seid Ihr, Jungs?«
»Wir sind Widerstandsproletarier der Rhodia-Chemie.«
Lauter Echte, die in dieser aufregenden Nacht draußen sind. Sitzstreiks, Hungerstreiks, Beschlagnahmen, Sabotage, Zerstörung von Labors, antirassistische Programme, Rattenjagd auf Rattengegner, Plünderung von Geschäften, Kampf gegen jede Art Unterdrückung, was immer ankommt. Diese Echten brauchen nur Motorräder, Mädchen, Tabak und Schlagworte. Wenn sie in Zorn geraten, schlagen sie alles kaputt. Sie werden entlassen und immer wieder eingestellt, weil sie letzten Endes allen Furcht einjagen. Man hat für sie den Ausdruck »politische Verbrecher« gefunden. Er entschuldigt alles.
»Was macht Ihr da? Wo sind die Polizisten?«
»Seit einer Stunde verschwunden«, sagt ein junger, großer, netter Bursche in Jeans und mit einem Hemd bekleidet, das nach amerikanischer Art auf den Schultern mit einem Namen geschmückt ist: Panama Ranger. »Es waren nicht viel. Wir sind«, er deutet ringsum, »mehr als zweihundert! Jene? Hosenscheißer. Dritte fahrbare Legion von Mâcon, man kennt sie ja! Im vergangenen Jahr haben sie uns hochgenommen. Eine friedliche Kundgebung, aber zugegeben, die Sache war schlecht eingefädelt. Die Blödel sind in der Menge zerdrückt worden. Wir hatten zwei Tote. Aber was für ein schönes Begräbnis! Alle Fabriken waren geschlossen. Die Arbeiter marschierten hinter den Särgen. Seitdem spucken die Leute aus, wenn sie an den Kasernen vorbeigehen. Von den Geschäftsleuten werden sie bedient, wie man in Südafrika nicht mal einen Schwarzen in einem weißen Lebensmittelgeschäft bedienen würde. Ihre Kinder haben keine Spielgefährten mehr. In der Schule spricht keiner mehr mit ihnen. Ihre guten Frauen rennen gegen eine Wand. Es soll sogar einen Pfarrer geben, der gesagt hat, daß die Messe fortan bei ihnen zu Hause gelesen wird, damit in der Kirche Putztücher und Servietten nicht vermischt werden. Ihr Kommandeur wurde rausgeschmissen. Die Armen! Sie warten auf die Pensionierung, denn sie taugen zu nichts mehr. Gerade noch, um auf den Straßenkreuzungen zu pfeifen. Als sie uns kommen sahen, sind sie abgehauen. Sie haben gesagt, sie würden mit Verstärkung anrücken. Wir lachen uns krumm!«
Wenn Panama Ranger lacht, strahlt er einen unwiderstehlichen Reiz uns. Schön und triumphierend wie ein junger Gott im dunklen Wald der Maschinen. Von der Art der Eroberer. Eine Eroberung nach der andern. Schritt für Schritt. Was soll‘s. Man pfeift auf alles.
Dio hat sich vorgestellt. Er wiederholt: »Was macht Ihr eigentlich?«
»Irgend etwas«, antwortet Panama Ranger. »Heute ist
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