Das Heerlager der Heiligen
überflutet, die ohne erkennbares Ziel dort kampieren. Aus London, wo etwa achthunderttausend Arbeiter aus dem Commonwealth leben, erfuhr man um achtzehn Uhr, daß ein Komitee mit der Bezeichnung ›Non-European Commonwealth Committee‹ zur friedlichen Demonstration am Montagmorgen aufruft. Es fordert – ich zitiere – ›das britische Bürgerrecht, Stimmrecht, Gleichberechtigung, Gleichstellung in bezug auf Löhne, Beschäftigung, Wohnungen, Freizeit und soziale Vergünstigungen‹. Die britische Regierung hat bis zur Stunde noch keinen Kommentar dazu gegeben …«
»Ich hoffe, daß man in London auch noch Papuas findet«, sagte der Präsident mit halblauter Stimme. »Das würde ich gerne sehen, einen Papua als britischen Staatsbürger!«
»… Wie wir in unserer Sendung um fünfzehn Uhr gemeldet haben, hat die Armada der letzten Chance die Straße von Gibraltar hinter sich und nimmt Kurs nach Nordosten. Englische, spanische und französische Aufklärungsflugzeuge haben die Flotte überflogen. Das Wetter war schön ruhig und klar. Unser Sonderberichterstatter an Bord eines der Flugzeuge hat uns folgendes telefoniert:
Hier ist Gibraltar. Hier ist der französische Rundfunk und das Fernsehen. Ich rufe vom Militärflughafen aus an, wo mich eine Vautourmaschine der Royal Navy vor zehn Minuten abgesetzt hat. Was ich beim Überfliegen der Armada gesehen habe, übersteigt die Vorstellung. Fast hundert Schiffe liegen auf dem Wasser. Da so gut wie kein Wind geht und keine Dünung herrscht, tauchen die Schiffsbrücken kaum aus dem Wasser. Ich habe kein einziges intaktes Schiff gesehen. Alle Schiffswandungen sind vom Rost angefressen, manche sogar über der Wasserlinie. All dies grenzt an ein Wunder und hat bisher wie durch ein Wunder gehalten. Wir haben mehrere Überflüge in geringer Höhe gemacht, mitten durch einen nur schwer zu ertragenden Gestank hindurch. Die Schiffdecks sind mit schwarzen und weißen Gestalten buchstäblich zugedeckt. Schwarz ist die Haut dieser Tausenden von armen Leuten, weiß die Tuniken, die sie tragen. Das Gedränge an den Brücken ist unglaublich. Man könnte glauben, einen Leichenhaufen zu überfliegen, bei dem die Leichen noch am Leben sind. Denn Tausende von Armen bewegen sich. Nach Schätzung könnten sich achthunderttausend Überlebende an Bord der Schiffe befinden. Die Flotte bewegt sich in nordöstlicher Richtung, das heißt genau auf die Côte d‘Azur zu. Wahrscheinlich werden die Schiffe dort stranden, denn keines besitzt einen Anker. Die Ankerklüsen sind leer. Auf jeden Fall ist diese Flotte nach meiner Sicht völlig unfähig, zu ihrer Ausgangsbasis zurückzukehren. Sie wird sich überhaupt keine Woche mehr auf dem Meer halten können. Ich habe eine Überschlagsrechnung gemacht. Nach der augenblicklichen Geschwindigkeit und wenn das Wetter so bleibt, wird die Flotte in der Nacht vom Samstag auf Ostersonntag, also morgen abend stranden. An der gesamten spanischen Küste herrscht ein Gefühl der Erleichterung. Man redet wieder von Mitleid und Solidarität. Hier ist Gibraltar mit dem französischen Funk und Fernsehen.«
Die Stimme des Pariser Journalisten fuhr fort:
»Dies telefonierte uns um sechzehn Uhr unser Sonderberichterstatter. Seitdem haben wir den Kurs der Einwandererflotte, der sich nach Frankreich auf die Côte d‘Azur zuwendet, mehrfach bestätigt erhalten. Im übrigen kommen laufend Aufrufe der arabischen Sender des Maghreb in indischer Sprache, welche die Einwandererflotte aufmuntern, das nördliche Mittelmeer anzusteuern, denn dort allein sei – ich zitiere – ›das Land, wo reichlich Milch fließe und der Westen beginne‹. Ende des Zitats. Man konnte aus dem pathetischen Ton der arabischen Sprecher so etwas wie Furcht entnehmen. In allen St ädten im Süden Frankreichs wurde während der letzten Tage durch die Presse und die Behörden zur Ruhe und Solidarität ermahnt. Dennoch scheint sich der Beginn eines Aufbruchs nach Norden abzuzeichnen. Züge und Flugzeuge sind seit heute früh überfüllt und die Autostraße A 7 ist seit sechzehn Uhr verstopft. Die Möbeltransporteure machen goldene Geschäfte und haben schon keine freien Fahrzeuge mehr. Zahlreiche Geschäfte und Villen sind geschlossen. Herr Jean Orelle, Informationsminister und Regierungssprecher, hat um siebzehn Uhr der Presse folgendes Kommuniqué zugehen lassen, das wir Ihnen zum zweiten Mal senden:
›Nachdem eindeutig feststeht, daß die Gangesflotte sich auf den Süden Frankreichs zubewegt (die
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