Das Heerlager der Heiligen
menschenwürdig behandelt zu werden, und die plötzlich an der Grenze ihrer Geduld angelangt seien. Ausgerechnet er, der römische Kardinal, der katholische Prälat, hat mich an einen Satz von Sartre erinnert, der jüngst soviel Wirbel gemacht hat und aus dem eine große Zahl subventionierter avantgardistischer Theaterstücke hervorgegangen sind.
›In der Welt gibt es zweieinhalb Milliarden Individuen, davon fünfhundert Millionen Menschen und zwei Milliarden Eingeborene.‹
Ich betrachtete indessen das verschlossene Gesicht des Großmuftis. Der Kardinal hat mir dann den Text einer Erklärung des Dauerkomitees in die Hand gedrückt.«
Hier ist er, Herr Präsident (Perret hat ihn aus den Telegrammen herausgefischt). Er ist mittags veröffentlicht worden.«
» … Ihr einziges Verbrechen besteht darin, nicht von unserer Rasse zu sein. Es ist nicht nur eine Frage der elementaren Nächstenliebe, sondern auch der Gerechtigkeit, daß wir sie achten. Jede Schikane, jede Härte, jeder Mangel an Achtung schafft Zustände, die um so verabscheuungswürdiger sind, als ihre Lage als Einwanderer aus verschiedenen Gründen immer schwieriger wird.«
»So ist es! Ja, so ist es! Ich hätte Lust, ihm zuzurufen: Und unsere eigene Lage, Eminenz! (Der Präsident, der gewöhnlich nie laut wurde, schien diesmal vom Zorn gepackt zu sein.) Ich habe immer den undurchschaubaren Mufti angeschaut und sagte mir, daß wenn er den heuchlerischen Mut gehabt hat, diese Deklaration zu unterzeichnen, die feierlich die Ungleichheit der Rassen feststellt, er dies tat, weil er wahrscheinlich etwas anderes im Kopf hatte. Ich vermute, daß er wohl die Rassen für ungleich hält, aber in dem Sinn, daß nicht immer die gleiche den Ausschlag geben sollte, was also eine Frage der Rotation ist. Schließlich gab ich es auf. Ich habe den Kardinal gefragt, wer die Schutzpatronin von Paris sei. Er stammelte irgend etwas. ›Sainte-Geneviève‹ habe ich ihn belehrt! ›Als die Hunnen vor den Toren von Paris standen, ist sie mit großem Pomp vor die Mauern gezogen, und Ihr Vorgänger, der damalige Erzbischof, begleitete sie, überglücklich über die unverhoffte göttliche Verstärkung.‹
Was glauben Sie, was er mir zur Antwort gab? Die heilige Genoveva habe es nie gegeben. Das Ganze sei Kinderei. Die Heilige stehe schon lange nicht mehr im offiziellen römischen Kalender. Anscheinend als Mythus abgesetzt. Ich hatte es vergessen. Tatsächlich hatte damals niemand protestiert, mit Ausnahme eines Träumers im Stadtrat von Paris, dessen Name nicht einmal mehr bekannt ist.
Ich habe dann die vier frommen Männer verabschiedet. Ich war außer mir. Ein Trost jedoch. Ihr Komitee tagte im erzbischöflichen Palais. Seit der Kardinal seine Möbel zugunsten von wer weiß wem verkauft hat und in einer Hütte lebt, die nicht einmal der rote Bischof von Bahia bewohnen würde, ist das Palais der ungemütlichste Ort von Paris. Wenn sie dauernd auf Holzschemel sitzen, hoffe ich, daß ihnen am Schluß der Hintern weh tut. Magerer Trost, nicht wahr? Man klammert sich an alles. Sonst noch etwas, Herr Perret?«
»Vieles und nichts. Ein Lied ohne Ende. Sechs Wochen lang haben die, welche sich einbilden, in dieser Welt zu denken, sich immer nach der gleichen Richtung bewegt. Die Regierungen haben fieberhaft beraten. Und was kam dabei heraus? Nichts. Wir leben in einem Jahrhundert der Zersetzung. Wir warten auf etwas Unabwendbares und setzen Worte an die Stelle von Taten. Dabei wissen wir, daß das Unabwendbare stärker ist als Worte. Jetzt zählt aber nur das Geschehen. Und was geschieht? Alle flüchten, ob Christen oder Nichtchristen. Und wenn wir uns auch nur mit Worten begnügen, dann sind wir allein, Herr Präsident, Sie und ich.«
»Nicht ganz allein. Da ist noch der alte, verrückte Machefer. Und Pierre Senconac. Von ihm erhielt ich durch den Direktor von Radio-Ost Nachricht. Jean Orelle rettet in extremis, was ihm noch an Verstand geblieben ist. Im andern Lager steht der Denkeraktivist Clément Dio und alle diese Idealisten aus Kneipen, Universitätslagern und Sakristeien, die nach Süden ziehen und ihren Reden Taten folgen lassen. Fast beneide ich sie. Aber jetzt haben wir ja die Armee. Eine Berufsarmee mit ausgewählten Regimentern. Seit heute morgen bezieht sie auf meinen Befehl Stellung.«
»Die Armee! Anscheinend sind das Tausende von Soldaten, Offizieren und Generalen. Aber das alles sind nur Worte, in Uniformen gekleidete Worte, die ihre Schwäche unter dem
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