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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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nehme als Adjutant den Fregattenkapitän de Poudis mit. Es scheint, daß er nachgedacht hat. Ich glaube, daß er durch den Tod seines Sohnes noch eine Rechnung zu begleichen hat. Wenn wir über einige Männer seines Schlages, die ein antreibender Schmerz bewegt, verfügen, dann werden wir vielleicht gerettet sein. Bei uns erzeugt Schmerz leider nur Gewerkschaftsforderungen …«
    »Auch ich habe über vieles nachgedacht, Herr Perret«, unterbrach der Präsident. »Ich kann auf die Dauer die Landung der Hungermasse auf unserem Boden nicht dulden. Ob wir sie in Konzentrationslager stecken oder zu assimilieren versuchen würden, das Ergebnis wäre das gleiche. Sie würden dableiben. Und wenn wir einmal unsere Tür geöffnet und unsere Schwäche bloßgelegt haben würden, dann würden weitere und immer weitere kommen. Dieser Prozeß hat ja schon begonnen …«
    »So ist es, Herr Präsident. Sie werden auf alle Fälle kommen.«
    »Ich weiß. Aber ich will Ihnen etwas sagen. Es ist ein abgedroschener Satz, den selbst der größte Politiker nicht mehr anzuwenden hat. Ich bin mir ein für allemal selbst verantwortlich. Das ist die Wahrheit. Leben Sie wohl, Herr Perret. Ich weiß nicht, ob wir uns noch einmal sehen werden …«

33.
     

    In der Nacht vom Karsamstag zum Ostersonntag, genauer gesagt, in der ersten Minute des Auferstehungstages, gab es an der Küste irgendwo zwischen Nizza und Saint-Tropez einen riesigen Lärm. Der Bug von 99 Schiffen bohrte sich in den Strand und in das Felsgestein. Das mißgestaltete Kind wachte auf und stieß einen Siegesschrei aus. Den ganzen Tag über und während der ersten Hälfte der folgenden Nacht rührte sich nichts im Bord der Schiffe. Nur Tausende von erhobenen Armen bewegten sich wie ein dunkler Wald. Ins Wasser geworfene Tote wurden an Land geschwemmt. Aus dem Mund der Massen drang leise eine endlose Melodie, die der Wind ans Ufer trug …
    Gegen halb elf Uhr abends hörte man vom französischen Rundfunk die oft wiederholte Sondermeldung des Tages. Man konnte feststellen, daß der Ton des Sprechers sich laufend veränderte. Es klang ganz so, als ob er Meldungen über seinen Gesundheitszustand vorlesen würde, der immer schlechter zu werden schien, und nur noch die Todesnachricht fehlte.
    »Die Regierung, die beim Präsidenten der Republik versammelt ist, tagte den ganzen Tag im Elysée-Palast. Mit Rücksicht auf den Ernst der Lage sind bei dieser Sitzung auch die Stabschefs der drei Armeeteile anwesend, ferner die Verantwortlichen von Polizei und Gendarmerie, die Präfekte der Departements Var und Alpes-Maritimes, als Sonderberater der Apostolische Nuntius und der größte Teil der in der Hauptstadt akkreditierten ausländischen Botschafter. Augenblicklich ist die Beratung noch nicht beendet, aber der Regierungssprecher kündigte an, daß der Präsident der Republik sich gegen Mitternacht in einer feierlichen Ansprache an das Land wenden wird …«
    In der gleichen Stunde schloß der Präsident die Sitzung mit etwa folgenden Worten:

    »Jetzt höre ich Ihnen fast zehn Stunden zu. Sie, meine Herrn Präfekten, berauschen mich mit Empfangsprojekten, mit Nichtigkeiten, die nur Ihre örtlichen Sorgen betreffen, mit der Beschaffung von Arbeitsplätzen, die man erschließen könnte, um die Flut aufzufangen. Sie glauben ja selbst kein Wort davon. Niemand hat Sie hierhergerufen. Sie haben Ihre Präfekturen verlassen, um sich, Ihre Familien und Ihr kostbares Gewissen in Sicherheit zu bringen, denn nicht wahr, man könnte Ihnen nichts vorwerfen! Ich enthebe Sie Ihrer Funktionen, und wenn ich dies sage, dann glaube ich, daß ich nur vierundzwanzig Stunden vor dem großen Aufbruch voraushandle, den die Anarchie entfachen wird, und in welchem alle Staatseinrichtungen untergehen werden …
    Sie, meine Herren Generäle, die Sie wagen, mir auf der Karte eine Art Kriegsspiel vorzuführen, bei dem Sie mit Geisterdivisionen und ohnmächtigen Regimentern aufwarten, halten Sie mich für einen verrückten Hitler in seinem Bunker in Berlin? Wissen Sie nicht, daß von zweihunderttausend Mann, die vor sechzig Stunden nach Süden in Marsch gesetzt worden sind, nur zweitausend in ihre Stellungen einrückten? Und in welchem moralischen Zustand! Sie ging aus dem Volk hervor, Ihre Armee! Nun ist sie dahin zurückgekehrt! In Mâcon tanzt man in den Kasernen. In Montélimar ist ein mir nicht bekanntes meuterndes Regiment mit Waffen und Gepäck in das Barackenviertel der Industriezone gezogen, um dort, so scheint

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