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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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… Alexander hob den Blick, und bevor sein Lid auch nur zucken konnte, landete mein Schweif einen kontrollierten, zielgenauen Schlag mitten ins Zentrum seines Hirns.
    Er versuchte die Augen mit der Hand zu schützen wie vor der blendenden Sonne. Dann ließ er die Hand wieder sinken, unsere Blicke trafen sich. Irgendetwas stimmte nicht. Mein Schweif kam nicht an bei ihm – und dabei stand er nur ein paar Schritte entfernt von mir und blickte auf mich, als könnte er nicht glauben, dass es so etwas Schönes gibt auf der Welt.
    »Adèle«, flüsterte er, »mein Liebes …«
    Was nun losging, war die Hölle.
    Er schwankte, gab einen grässlichen Heullaut von sich – und kam buchstäblich aus seinem Körper gefallen: wie eine Knospe in wenigen Sekunden zu einer gruseligen, zottigen Blüte aufplatzt. Wie sich herausstellte, war der Mensch mit Namen Alexander nicht mehr als eine Zeichnung an der Pforte zur Unterwelt. Jetzt ging diese Pforte auf, und der, welcher mich schon geraume Zeit durchs Schlüsselloch beobachtet hatte, sprang heraus.
    Vor mir stand ein Monster zwischen Mensch und Wolf, mit aufgerissenem Rachen und stechend gelben Augen. Zuerst dachte ich, Alexanders Kleider wären verschwunden. Dann sah ich, sie hatten sich mitverwandelt: Den Rumpf bedeckte ein asch-graues Fell, die Hinterpartien waren dunkler, an den Läufen konnte man die Biesen als verschwommene Spur noch erkennen. Auf der Brust des Tieres gab es einen länglichen Fleck, einer leicht verrutschten Krawatte ähnlich. Und als ich den Blick senkte, packte mich das blanke Entsetzen. Wie es dort unten bei einem erregten Wolf ausschaut, hatte ich noch nie gesehen. Ein aulgerissener Rachen war nichts dagegen.
    In dem Moment merkte ich, dass ich immer noch auf allen vieren war, mit erhobenem Schweif, den schutzlosen Po in seine Richtung reckend. Schutzlos insofern, dass meine Antenne nicht funktionierte und ich also nicht wusste, wie und womit meinem Gegenüber Einhalt zu gebieten war. Wie meine Pose bei ihm ankommen musste, ließ sich denken, doch ich war gelähmt – anstatt wegzuspringen, blickte ich wie gebannt über meine Schulter zu ihm hin. So geschieht es in manchen Träumen: Man müsste weglaufen, bleibt aber kleben, bekommt die bleiernen Füße einfach nicht vom Fleck. Nicht einmal das idiotische Grinsen vermochte ich mir vom Gesicht zu wischen – wie ein am Tatort ertappter kleiner Dieb.
    »R-r-rrra-rrrrah!«, machte er. »R-r-r-r-rrau-u-uh!«
    »He, Kumpel, wart mal«, stammelte ich, »ich kann dir das alles erklären …«
    Knurrend machte er einen Schritt auf mich zu.
    »He, untersteh dich, Alter, hörst du, lass dir das ja nicht einfallen, ich meine es ernst, halt dich zurück …«
    Er fiel weich auf seine Vorderpfotenhände und tat einen weiteren Schritt. Es brauchte andere Worte, ganz andere, und zwar schnell. Woher nehmen?
    »Du, hör mal … Lass uns das in Ruhe bereden, ja?«
    Er fletschte die Zähne und hob seinen grauen Schweif, was der Aktivpositur meines eigenen beinahe ganz entsprach.
    »Immer mit der Ruhe, mein kleiner Grauer, du musst nichts übereil-…«
    Er sprang, und für einen kurzen Moment schien es mir, als zöge eine schwere, bedrohlich tiefhängende graue Gewitterwolke vor die Sonne. Im nächsten Augenblick fiel diese Wolke auf mich.
     
    Ich lag auf dem Sofa (es war mit etwas bezogen, was die Haut eines Albinomammuts hätte sein können) und heulte ins Kissen. Ich wusste selbst nicht, wo die vielen Tränen herkamen, das Kissen war von beiden Seiten nassgeheult.
    » Ada «, rief Alexander und legte mir die Hand auf die Schulter.
    »Hau ab, du Scheusal«, schluchzte ich, seine Hand abschüttelnd.
    »Verzeih«, sagte er zaghaft, »ich wollte dir nicht…«
    »Du sollst verschwinden, hab ich gesagt! Fieser Kerl!«
    Schon wieder schossen mir die Tränen aus den Augen. Es vergingen ein, zwei Minuten, ehe er es erneut wagte, mich an der Schulter zu berühren.
    »Ich hatte dich dreimal gefragt«, sagte er.
    »Soll das ein Witz sein?«
    »Wieso. Ich hatte davon gesprochen. Vom animalischen Körper, von der physischen Nähe. Etwa nicht?«
    »Wie hätte ich ahnen sollen, worum es geht?«
    Er zuckte die Schultern.
    »Der Geruch zum Beispiel hätte es dir sagen können.«
    »Werfüchse können nicht gut riechen.«
    »Ich wusste bei dir jedenfalls gleich Bescheid«, sagte er, während er mir unbeholfen die Hand streichelte. »Erstens duften Menschen nicht so. Und zweitens hat Michalytsch mir die Ohren vollgesäuselt: Genosse

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