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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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gewisser Plastikhohlzylinder in der Ausrüstung eines Affenpflegers im Zoo spielt.
    Bei den Primaten sind nämlich die gleichen Herrschaftstechniken üblich wie im kriminellen beziehungsweise politischen Milieu: Jene Männchen, die das Heft in der Hand haben, pflegen diejenigen, die einen ihrer Meinung nach ungerechtfertigt hohen Status beanspruchen, rituell zu erniedrigen. Manchmal finden sich unversehens auch Außenstehende: Elektriker, Laboranten (ich spreche von Affenzuchtbetrieben) usw., in dieser Rolle wieder. Um für einen solchen Zwischenfall gewappnet zu sein, tragen die Angestellten besagten Plastikhohlzylinder, an Riemen befestigt, zwischen den Beinen. »Schwanzfänger« ist die wunderbare Bezeichnung dafür. Er bietet eine gewisse Sicherheitsgarantie: Wird man von einem Männchen in einem Anfall von sozialem Gerechtigkeitsgefühl besprungen, muss man nichts weiter tun, als sich nach vorn zu beugen und geduldig die paar Minuten zu warten, bis alle Entrüstung des Primaten in den Zylinder abgeleitet ist; anschließend darf man seiner Wege gehen.
    Dies durfte nun also auch ich.
    Meine Wege führten mich ins Badezimmer, wo ich als Erstes eine Schadensaufnahme an meinem Körper durchführte. Davon abgesehen, dass die rudimentäre Höhle unter dem Schweif wund gerieben war, hatte ich Glück gehabt. Allerdings schmerzte mir der Hintern, als hätte ich eine Stunde auf dem Rücken eines durchgegangenen Pferdes zugebracht (dies traf es ja auch ziemlich genau); eine Verletzung konnte man das nicht nennen. Die Natur hat die Werfüchse für das Zusammentreffen mit Werwölfen ausgerüstet.
    Doch ahnte ich, dass zumindest ein Bad in der Perlmuttwanne unumgänglich war – und tatsächlich: Der Schweif in seiner ganzen Länge wie auch Bauch, Rücken und Beine klebten von dem ekligen Wolfsseim, den ich mit Hilfe von Shampoo sorgfältig auswusch. Dann föhnte ich meinen Schweif rasch trocken und zog mich an. Ich hatte die Idee, dass es nicht schaden konnte, in dieser Wohnung ein bisschen herumzuschnüffeln.
    Doch es gab herzlich wenig zu beschnüffeln in diesem leeren Luxushangar. Weder Schränke noch Kommoden oder Schubladen. Alle Türen in irgendwelche Nebenzimmer waren verschlossen. Nichtsdestoweniger machte ich ein paar interessante Funde.
    Auf dem Schreibtisch neben dem eleganten Computerbildschirm stand ein Gegenstand aus gediegenem Silber, den ich zuerst für eine Statuette gehalten hatte. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich das Ding als Zigarrenabschneider. Es stellte Monica Lewinsky dar, wie sie, auf der Seite liegend, ein Hebelbein in die Luft streckte; wenn man darauf drückte (ich konnte der Versuchung nicht widerstehen), wurde nicht nur die Guillotine zwischen ihren Schenkeln in Gang gesetzt, es schoss ihr auch ein blau züngelndes Flämmchen aus dem offenen Mund. Klasse Spielzeug. Nur die Stars&Stripes, die Monica in der Hand hielt, fand ich übertrieben. Manchmal genügt eine Winzigkeit, und die Erotik kippt in kitschigen Agitprop.
    Die silberne Monica beschwerte einen dicken Schnellhefter. In ihm ein Stoß verschiedenster Papiere.
    Obenauf lag, nach dem schweren Glanzpapier zu urteilen, eine herausgetrennte Seite aus einem Kunstbildband, von der mir ein riesiger gelbäugiger Wolf entgegenblickte, der auf seiner Brust eine F-förmige Rune trug. Es war die Reproduktion einer Skulptur aus Holz und Bernstein. (Letzterer für die Augen.) Die Bildunterschrift lautete: FENRIS, Sohn des Loki, Riesenwolf, der die Sonne über den Himmel jagt. Holt Fenris sie ein und frisst sie, ist Ragnarök. Fenris ist an Ragnarök gebunden. Zu Ragnarök tötet er Odin und wird von Vidar getötet.
    Aus dem Text ging nicht hervor, wie Fenris die Sonne einholen und fressen will, wo er doch an Ragnarök gebunden ist, dieses aber erst eintritt, wenn er die Sonne eingeholt und gefressen hat. Doch es könnte gut sein, dass unsere Welt überhaupt nur solcher Fehlkopplungen wegen fortexistiert: wenn man daran denkt, wie viele sterbende Götter sie schon verflucht haben.
    Wer Fenris war, das wusste ich noch. Es war das gräulichste Geschöpf im nordischen Bestiarium, Hauptfigur in der isländischen Mythologie: ein Wolf, dem es vorbehalten blieb, nach Stilllegung des nordischen Projekts – Stichwort: Götterdämmerung – die Protagonisten aufzufressen. Man konnte nur hoffen, dass Alexander sich nicht gar zu sehr mit diesem Wesen identifizierte und das gelbäugige Ungeheuer hier nur ein unerreichbares ästhetisches Idealbild war, so wie

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