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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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nicht nur dem Berg aus Stein, sondern auch dem Berg der Erinnerung begegnen würde.
    Mit Rücksicht auf Wakiya-knaskiya gingen auch seine Begleiter nur langsam aufwärts. Ihre Füße fanden Halt an Stein und Moos; Hanska bog ungebärdige Zweige zurück. Alle, auch die Kinder, hielten sich eng zusammen. Sie gelangten zu der Stelle, an die sich schon Erzählungen und Sagen knüpften. Der Bach fiel in Schleiern von Steinterrasse zu Steinterrasse; man konnte hinter diese perlmuttschillernden Wasserschleier treten und einander necken. Die Spur eines schweren Elches führte über eine Terrasse von einem Ufer zum andern. Hanska machte die Kinder darauf aufmerksam; sie lasen die Fährte, die im Walde verschwand, voll Eifer.
    Man lagerte sich, fand weitere Spuren, sogar die eigene vom Frühjahrsbesuch her; man machte ein kleines Feuer und briet Vorräte von Frau Evelyn. Hanska zeigte den Kindern die Stelle, an der eine Bachforelle unter dem Uferüberhang stand und leicht mit der Hand zu fangen gewesen wäre. Doch der Proviant von Frau Evelyn war reichlich, und die Beobachter ließen den Fisch am Leben. Es war das Tal des »kleinen Fisches«. Hanska wollte noch hinauf zu dem Sumpf, wo der alte Inya-he-yukan als junger Mann seinen sagenumwobenen Falbhengst gefangen hatte mit Hilfe seines Freundes Donner vom Berge, des Siksikau, und wo er vor wenigen Jahren auf der Adlerjagd fast umgekommen war, als er die in das Sumpfloch gefallene Beute holen wollte. Hanska schaute sich um, sein Blick blieb an Harry Kte Ohitaka hängen. »Komm du mit, damit du die Wege unseres Vaters kennenlernst.«
    Wakiya blieb bei Ite-ska-wih zurück. Sie genossen miteinander den Tag der Ruhe, des Stillschweigens und Nachfühlens; die Kinder spielten am Wasser. Einmal in Stunden hörten sie von sehr fern ein Geräusch, das nicht ein Ton der Natur war.
    »Jetzt hat er geschossen«, sagte Wakiya. »Vielleicht bringt er einen Adler mit. Es gibt viele hier.«
    Nachmittags gab es wiederum etwas zu erlauschen. Die leisen Geräusche, die nicht verborgen wurden, aber neben dem Wasserrauschen kaum hörbar blieben, kamen von unten herauf auf das Lager zu. Ite-ska-wih horchte mit unruhiger Aufmerksamkeit, aber Wakiya beschwichtigte sie und lächelte.
    Er hatte recht gehabt, wenn er nichts Böses erwartete. Aus dem Walddickicht traten Rote Krähe und Percival an das Bachufer heraus.
    »Hay!«
    Ite-ska-wihs Wangen wurden warm.
    »Keine Sorge«, beruhigte Rote Krähe. »Der alte Geheimnismann ist bei den Wagen geblieben; unser Tipi steht bei euren Tipis.« Es wurde von nun an englisch gesprochen, das alle verstanden. Das Wort Tipi – teepee – fand sich auch in dieser Sprache als Fremdwort.
    Percival und Rote Krähe badeten im Wasser um die perlmuttfarbenen Schleier, die Kinder lachten aus vollem Halse und plantschten mit. Ite-ska-wih freute sich, daß auch Percival nun das Tal bis an den Berg herauf kennenlernte. Sie freute sich stets mit, wenn andere Grund zur Freude hatten. So blieb sie trotz aller Sorgen und Nöte ein Mensch der Heiterkeit.
    Die Stunden liefen, die Sonne stieg und sank. Die Zungen lösten sich allmählich. Wakiya-knaskiya begann von California zu erzählen, das er allein von allen Anwesenden kannte, von der bunt-lauten Stadt San Francisco, von der Insel Alcatraz, die der Bai vorgelagert war; verlassen und nutzlos lag sie wieder da, nachdem die Indianer sie hatten verlassen müssen, weil ihnen die Süßwasserleitung abgeschnitten worden war. Die Kinder wollten viel von dieser Insel hören, von den Gefangenen, die dort geschmachtet hatten, von den Wirbeln im Meer, die die Schwimmer hinunterschlangen, von den Männern und Frauen, die es gewagt hatten, an der Insel des Nachts im Kanu zu landen. Fast ein Jahr lang hatten sie sie besetzt gehalten und Wasser im Schiff herangeschafft. Es war eines der Fanale im Freiheitskampf der Indianer gewesen. – Wakiya erzählte auch von den Riesenbäumen in California, die größer waren, als sonst je ein Mensch einen Baum gesehen hatte, und älter als die Zeit, in der die Watschitschun nach California gekommen waren. Sie wußten und rauschten noch von den Tagen und Nächten indianischer Freiheit und von denen des Goldrausches der Watschitschun. Wakiya erzählte von den vielen schönen, fremdartigen Blumen und von den vielen fremdartigen Menschen, die in California ihr Glück suchten. Er erzählte, daß es auch dort Indianer gab, Indianer auf dem Lande und Indianer in der Stadt. Sie hatten in demokratischen kleinen

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