Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
lange gestanden. Er läßt sich nicht satteln. Tobt wie ein Rodeopferd.«
    »War er ja auch mal.«
    »Den ersten Rodeoritt Joe Stonehorns mit dem Schecken hättest du sehen sollen; damals hat er den ersten Preis gemacht und das Pferd gekauft – – schade, daß jetzt alles so kommen mußte.«
    Morning Star senior schleppte den Sattel herbei. Hanska hatte unterdessen den Hengst begrüßt. Das Tier erkannte ihn sofort und legte seine weichen Nüstern an Hanskas Wange. Es begann zu schnauben und zu stampfen, Hanska ging das Herz auf, aber es zog sich alles wieder in ihm zusammen, wenn er daran dachte, wie sein Wahlvater den Hengst auf der Büffelweide geritten hatte.
    Er grüßte Morning Star zum Abschied. Das Tier tänzelte und warf den Kopf, als Hanska aufsaß. Er ritt die nebelverhangene Hauptstraße am alten und am neuen Supermarkt, an der Superintendentur, am Büro des Killer-President, am Indianer-Cafe, an der Tankstelle vorbei in die Prärie hinaus. Da gab er dem Hengst den Kopf frei, legte ihm die Hand zwischen die Ohren und stieß einen schrillen Schrei aus. Der Hengst wurde zum Mustang der Prärie. Er stob dahin; immer mehr Land blieb hinter ihm. Wind und Regen klatschten Reiter und Pferd ins Gesicht.
    Hanska ritt stundenlang; dieses Pferd hatte großartige Kräfte. Sein Reiter fühlte sich freier und freier, immer zuversichtlicher, es war, als ob Erde und Mustang ihm ihre Kraft mitteilten.
    Ebenso triefend naß wie sein Pferd gelangte er in die Nähe der Schulsiedlung. Er sprang ab, streichelte den Hengst, sagte freundlich: »Bleibe da – bleib da!« und schlich sich zu Fuß an die Schulsiedlung heran. Da war die Schule, die er jahrelang besucht hatte, dieser Backsteinbau, da war der traurige künstliche Tümpel, an dem Wakiya mit Tishunka-wasit-win gestanden hatte, ehe das Mädchen in den Tod ging, da war auch der Pausenspielplatz mit den Turngeräten, an denen Hanska immer der Beste gewesen war, da stand die Gruppe der kleinen schmucken Lehrerhäuser und unter ihnen Lehrer Balls Haus. Lehrer Ball pflegte nachts ein Fenster offen zu lassen.
    Ja, wirklich, ein Fenster war offen. Ball ließ ohne Scheu den Nebel hereinziehen zusammen mit der Frische einer Märznacht in der Prärie. Hanska stieg lautlos ein. Das Regenwasser lief von Stiefeln und Anzug auf den Parkettboden. Er befand sich im Arbeitszimmer; die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Hanska wartete und sammelte sich. Er durfte Ball nicht erschrecken.
    »Hallo, Sir!« sagte er in gewöhnlicher Stimmlage, wie in einem Gespräch.
    »Mann, o Mann«, antwortete Ball, aber er schien nicht erwacht zu sein, sondern nur im Traum zu sprechen.
    »Hallo, ja, Sir, ich bin’s, Hanska.«
    Ball drehte sich auf die andere Seite; plötzlich wurde er wach und sah einen ganz eingeregneten jungen Mann in der Zwischentür stehen. Er knipste die Taschenlampe an, betrachtete Hanska ein paar Sekunden, erkannte ihn, setzte sich auf und winkte dem überraschenden Eindringling, die Zwischentür zu schließen und an sein Bett zu kommen. Lehrer Ball kannte seine indianischen Schüler; auch die Schulentlassenen vertrauten ihm noch. Innerhalb der Lehrerschaft war er Senior, allgemein beliebt und hoch angesehen.
    »Krause war bei mir, Hanska. Was er weiß, weiß ich auch. Wie kann ich euch helfen? Setz dich her, wir müssen das besprechen.«
    Hanska setzte sich auf einen Hocker am Bett und atmete tief.
    »Halkett hilft uns nicht. Ich war dort.«
    »Er ist verbittert und ganz verstört. Wo sind deine drei kleinen Geschwister? Das hat mir Krause nicht gesagt.«
    »Zu Besuch bei den Verwandten in Kanada. Einfach auf Besuch. Meine Mutter wollte vermutlich alle fünf dorthin bringen; Krause wäre nur Zwischenstation gewesen.«
    »Ah, gut. Das läßt sich aufrechterhalten. Also keine Entführung.«
    »Nein.«
    »Um die armen Zwillinge steht es schlimm.« Ball war in der Stimmung, offen zu sprechen. Wenn es um Kinder ging, übersprang er die Schranken der Lehrerdisziplin. »Sie haben Harry und Mary getrennt in die schlechtesten Internate gebracht, wo die Kinder niederknien sollen und geschlagen werden – und was man ihnen sonst antun kann. Man will die beiden zum Schweigen bringen. Queenie sei nicht tot, ist die Version des Killerchiefs.«
    »Ich weiß. Halkett glaubt daran.«
    »Wir müssen die Tote finden. Ihr Blut haben wir schon.«
    »Meiner Mutter Blut? Sir!«
    »Krause und Ron Warrior haben schnell gehandelt. Krause hat dir nicht davon erzählt? Harrys Kleider waren mit Blut

Weitere Kostenlose Bücher