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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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gebrauchen.
    Der Hunger biß in die Eingeweide. Ite-ska-wih, Hetkala, Tatokala und Alice machten sich nach einem sehr stillen Tag des Abends wieder auf, um hinauszuschleichen und Lebensmittel zu holen. Sie waren dabei nicht unvorsichtig, aber einen Teil ihres Gefahrenbewußtseins hatten sie verloren. Was wollten diese uniformierten Männer noch, wenn sie nicht schießen durften?
    Ite-ska-wih und Hetkala wählten wieder den gewohnten Schleichweg. Wäre es besser gewesen, einen neuen zu versuchen? Vielleicht. Aber auf dem alten Schlupf kannten sie sich sehr genau aus; er war bereits Routine geworden. Sie hatten nicht mehr auf alle Kleinigkeiten des Geländes zu achten, sondern nur auf das Verhalten der Menschen. Das allerdings gab jetzt besondere Probleme auf, denn der Ring hatte sich zusammengezogen, war enger geworden.
    Doch fanden die beiden Frauen keine neuen Hindernisse. Ite-ska-wih durchzuckte dabei ein erschreckender Gedanke. Hielten die Feinde die mühsamen Schleichgänge der Frauen vielleicht für so wenig wirksam, daß sie sich nicht mehr viel darum kümmerten? Wußten sie, daß droben um das Große Grab Hunger herrschte? Wollten sie dem Hunger den Sieg überlassen? Zwei Monate hielten die Aufständischen schon aus. Die Viehherde war längst verzehrt; das sagte sich Ite-ska-wih wieder und wieder. Die Rationen, die die Frauen brachten, waren auf die Dauer zu klein.
    Weg mit diesen Gedanken! Es gab Gefangene, die sich zu Tode hungerten, um zu protestieren. Ite-ska-wih wußte das. Sollten die Kämpfer um das Recht kleinmütig sein, jetzt, da sie gemeinsam einen Sieg errungen hatten?
    Nicht von fern.
    Hetkala und Helles Gesicht waren durch die Reihen der Feinde hindurchgelangt. Sie liefen schnell wie Gemsen zu dem Kieferngrund. Zu ihrem Erstaunen rannte Hetkalas Wolfshund hinter ihnen her. Sie hatten nicht bemerkt, daß er mitgeschlichen war.
    Noch größer war ihre Überraschung, als sie bei den Kiefern Iliff und ihre beiden Pferde fanden.
    »Iliff? Wie kommst du hierher?«
    »Das war ganz einfach, Mutter.« Iliff, ein Waisenkind, nannte Hetkala Mutter. »Ray hat gerechnet. Es ist die erste Nacht, in der sie wieder heraus können, hat er gesagt. Du mußt hinreiten. Ihr seht, ich bin hergeritten.«
    »Ja, du bist ein gutes Kind.«
    Auf die Fuchsstute waren zwei Säcke aufgeladen. Iliff erklärte: »Das sind Kleider für euch. Ihr seid ja naß vom vielen Regen und schmutzig von der feuchten Erde. In dem anderen Sack sind Brot und Bohnen und solche Büchsen mit Fleisch, das nicht schlecht wird. Ray hat das alles besorgt. Ihr braucht nicht zum kahlen Berg zu kommen. Ich habe auch Decken dabei. Ihr könnt hier den Tag über schlafen, und wenn es dunkel wird, geht ihr wieder hinein in den Ring. So hat Ray gesagt.«
    Die Frauen lächelten und lobten Iliff und Ray. Hart war es allerdings, im Freien zu schlafen. Das Wetter im April gab keine Ruhe, es war wie ein Scherzgeist, der die Menschen narrte. Ite-ska-wih hustete trocken. Der Husten tat ihr weh, aber sie sagte davon nichts. Hetkala schlug sich mit ihr zusammen in die beiden Decken ein, während Iliff mit den zwei Pferden wieder nach Hause ritt. Der Wolfshund blieb da. Er legte sich zu Füßen der Frauen und wärmte sie ein wenig.
    Gegen Abend machten sich die Frauen wieder auf. Der Hund folgte ihnen im Abstand. Als es dunkel wurde, sahen sie ihn nicht mehr. Sein graues Fell hob sich von der nächtlichen Umgebung nicht ab.
    Die beiden kamen zu der Stelle, an der die kahlen Büsche verstaut waren, mit denen sie sich zu tarnen pflegten. Da lag der Hund; er spitzte die Ohren und bewegte die Pfoten, ohne aufzustehen. Ein kluges Tier war er; klug wie seine feindlichen Brüder, die Wölfe. Auf einmal knurrte er leise, heiser, böse. Er mußte etwas gewittert haben. Ite-ska-wih und Hetkala zogen sich ein wenig zurück.
    Eine Patrouille kam, blieb stehen, schaute sich um, ohne die Frauen zu entdecken. Genau wie damals, als Hanska mich führte, dachte Ite-ska-wih. Die beiden Polizisten wechselten ein paar Worte miteinander, während der eine die kahlen Büsche aufhob und in die Luft warf.
    »Die liegen immer da«, bemerkte er dabei. »Da kreuzt wohl das Weibervolk. Die Schweinerei hat ja nun bald ein Ende.«
    Die beiden Männer gingen weiter; die Frauen konnten nicht verstehen, was sie sonst noch sagten.
    Sie warteten, bis sie sich sicher fühlten. Dann krochen sie vorwärts. Die Säcke, die sie mitzuschleppen hatten, waren diesmal besonders schwer. Ray und die Helfer, die

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