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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dafür fand Knösel etwas, was seinen Sinn für die Zukunft bewies. In einer Baracke der Luftwaffe am Rande des Rollfeldes fand er ein Paket zusammengelegtes Leinen. Es sah wie eine riesige Tischdecke aus, braungrundig mit einem weißen Muster, das Knösel nicht erkennen konnte, denn ihm blieb keine Zeit, die Riesendecke zu entfalten. Stoff kann man immer gebrauchen, dachte er bloß. Und vor allem kann man ihn in Streifen reißen und Binden daraus machen. Er überlegte nicht lange und nahm die Riesendecke mit. Sie war schwer, und Knösel war außer Atem, als er sie endlich auf dem Rücksitz des Kübelwagens verstaut hatte.
    Wenige Minuten später standen drei Luftwaffenoffiziere ratlos vor dem leeren Fleck, auf dem noch vor kurzem der Stoffballen gelegen hatte.
    »Wer klaut denn hier Markierungstücher?!« schrie einer von ihnen. »Himmel, Arsch und Wolkenbruch … man muß wie 'ne Glucke auf den Eiern sitzen, sonst klauen die uns noch den Furz aus 'm Hintern …«
    In der folgenden Nacht zog die kleine Kolonne von Gumrak zurück nach Stalingrad-Stadt. Dr. Portner, Dr. Körner, Knösel, der Unterarzt und Emil Rottmann. Auch ihn hatte es hart getroffen. Er war abkommandiert worden, Dr. Körner zu bewachen. Die Rechnung, für seine Aussage in Gumrak bleiben zu dürfen, war nicht aufgegangen. Er kam zurück in die Hölle. Stumm hockte er neben Dr. Körner in dem Kübelwagen. Er hatte Angst. Nicht vor den Sowjets, nicht vor den Panzern und Granatwerfern, den MG-Schützen und den Stalinorgeln … er hatte Angst vor Knösel. Als er sich bei Dr. Portner zurückgemeldet hatte, sah ihn dieser wortlos an und drehte sich um. Knösel aber war hinter ihn getreten und hatte gesagt: »Mein Junge … es soll komische Wesen geben, die auf 'm Zahnfleisch Spazierengehen. Kennste einen davon …?«
    Emil Rottmann hatte geschwiegen. Er wußte, was das bedeutete. Und ein Gedanke setzte sich bei ihm fest, der ihm als einziger Rettung verhieß: Ich werde überlaufen! Ich werde bei der ersten Gelegenheit zu den Iwans überlaufen. Es ist vielleicht die letzte, die allerletzte Chance, zu überleben.
    Im zweiten Wagen folgte Oberst von der Haagen mit einem Fahrer und zwei jungen Leutnants. Auch er war still, mummelte sich in seinen dicken Schafspelz und beklagte innerlich sein tragisches und ungerechtes Schicksal. Am Stadtrand, vor einem Knäuel ausgebrannter Straßenbahnwagen, trennten sich die Kübels … Dr. Portner ratterte bis zur Feldbäckerei, von wo aus der Weg in die Trümmerwüste nur zu Fuß weiterging … Oberst von der Haagen fuhr noch zwei Kilometer nördlich, bis auch er beim Troß seines neuen Regimentes hielt und mit der Meldung seines zurückgekommenen Ia, eines Majors, erfuhr, daß der Russe gerade im Abschnitt des Regimentes sehr aktiv geworden war. Man hörte es … der Trümmerabschnitt vor ihnen bebte unter den Einschlägen russischer 10,5-cm-Granaten. Hauswände stürzten um, Beton- und Kalkstaub zog mit dem Wind bis zu ihnen. Oberst von der Haagen straffte sich.
    »Na, dann wollen wir mal!« sagte er burschikos. »Solange wir noch kacken können, können wir auch schießen …«
    Der Major lachte nicht, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Von der Haagen schielte mißbilligend zur Seite. Keinen Mumm haben die Kerle, dachte er, um sich selbst aufzurichten. Aber nimmt es wunder, wenn selbst der eigene General nicht an den Endsieg glaubt?!
    In dieser Minute starben in den Kellern Stalingrads und am Einschließungsring einige Hunderte deutscher Soldaten. Um mit Oberst von der Haagen zu sprechen: Sie kackten nicht mehr …
    Iwan Iwanowitsch Kaljonin war ein kluges Köpfchen, keiner hat das je bezweifelt. Seit dem Tode seines geliebten Majors, von dem er durch sein Weibchen Veraschka erfuhr, das als Kranken- und Medikamententrägerin zwischen dem Wolgaufer und dem ›Tennisschläger‹ wie ein Wieselchen hin und her lief und die Verwundeten aus dem Feuer schleppte und neues Verbandszeug hinein in die Hölle, war Kaljonin so etwas wie sein eigener Herr inmitten einer Mondlandschaft. Man hatte ihm einen ganzen Zug Infanterie gegeben mit dem Befehl: Nun seht zu, daß ihr viel zerstört, Genossen! Lebt wohl! Wenn ihr etwas braucht, funkt es. Ob wir allerdings etwas schicken, ist fraglich. Die Deutschen haben noch genug für einen Zug Rotarmisten.
    Schlicht ausgedrückt, hieß das: Du bist eine Faust, die immer und immer wieder in die weichen Teile der Deutschen stoßen muß. Kaljonin begriff und zog in der Nacht mit seinem Zug

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