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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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alten Holzbohlen geraspelt und daraus eine Suppe gekocht, mit Schneewasser und einer Kraftbeilage aus Krähen.
    Es war der 7. Januar 1943.
    Dr. Portner trug in sein Tagebuch ein: Rückkehr in die Kinokeller. Nehme meine Arbeit wieder auf. Verpflegung seit drei Tagen keine. Kaum Verbandmaterial, keine Anästhesiemittel. Dann stellte er sich wieder an seinen alten Küchentisch und operierte. Am anderen Tisch stand bereits Dr. Körner. Er schnitt gerade ein stark aufgequollenes Bein ab.
    »Übermorgen sind wir am Ende«, sagte Dr. Portner laut. »Ich habe die Bestände durchgezählt … dann haben wir nur noch unsere bloßen Hände …«
    Pfarrer Webern sah kurz in den Operationskeller. Trotz der Trostlosigkeit strahlte sein in Stalingrad vergreistes Gesicht.
    »Pastor Sanders ist wieder da«, rief er durch das Stöhnen und Wimmern zu den Ärzten. »Sie haben ihn eben gebracht. Drei Pioniere. Er lebt noch, ja, es geht ihm verhältnismäßig ganz gut. Seine Schulterwunde ist vereitert, aber nicht brandig.«
    Dr. Portner zog die Mundwinkel herunter. »Mit zwei Gottesmännern im Keller muß es ja gutgehen«, sagte er sarkastisch. »Vielleicht hilft uns das doppelte Gebet zu dem Wunder, Binden zu bekommen …«
    Pfarrer Webern ging in den großen Keller zurück. Er nahm Dr. Portner nichts übel. In Stalingrad war es selbst für einen Priester schwer, mit Gott ins reine zu kommen.
    Gegen Abend polterte ein Trupp verdreckter und vereister Landser die mit Toten und Erfrorenen belegte Treppe hinab. Ein Oberleutnant fragte sich durch und platzte in den Operationskeller. Dr. Portner und Dr. Körner hatten gerade eine Pause eingelegt und tranken Tee.
    »Wer ist hier der Chef?« fragte der Oberleutnant und sah auf die Ärzte. Es war drückend heiß in dem Keller, Portner und Körner saßen in Hemdsärmeln an der Wand.
    »Ich!« Dr. Portner winkte mit der Teetasse. »So schneidig, mein Sohn? Ist der Führer etwa über Stalingrad abgesprungen? Im Altertum war das üblich … da starb der Feldherr an der Spitze seiner Truppen.«
    Der Oberleutnant sah verwirrt auf den Arzt. Da er keinen Dienstgrad wußte, vermied er die direkte Anrede.
    »Wir bringen Gefangene! Mein Stoßtrupp hat vorhin eine russische Verwundetengruppe gestellt. Es sind ein Arzt, eine Ärztin, ein verwundeter sowjetischer Oberst –«
    »Körner, sehen Sie mal nach, was da los ist. Gefangene! Was soll ich hier mit Gefangenen, lieber Mann!« Dr. Portner trank einen Schluck Tee. »Verhungern können sie auch vor der Tür … Kinder, wer macht denn heute noch Gefangene! Laßt sie laufen …«
    Dr. Körner ging hinaus. Er stieg wieder über die blutenden, eiternden, faulenden Körper und kämpfte sich bis zur Treppe durch. Dort stand Knösel, und man sah ihm an, daß er fasziniert war.
    Am Eingang zum Keller, auf der untersten Treppenstufe, stand eine Frau in der olivgrünen Uniform der sowjetischen Offiziere. Der Lammfellmantel war zerrissen, über den hochgestellten Kragen fielen lange schwarze Haare. Das schmale, leicht tatarische Gesicht mit den mandelförmigen Augen war hochmütig trotz des Mörtelstaubes, der auf ihm klebte wie eine Clownmaske. Die langen, schlanken Beine steckten in hohen Stiefeln. Die Frau blutete aus einem Riß an der linken Schläfe. Knösel, der sein schmutziges Taschentuch hervorgeholt hatte und es gegen den Riß drücken wollte, bekam einen heftigen Schlag auf den Arm.
    »Det is 'ne Wucht!« sagte er begeistert. »Junge, det müßte man vernaschen …«
    Dr. Körner blieb vor der Frau stehen. Stumm sahen sie sich an, der hemdsärmelige deutsche Arzt und der gefangene sowjetische weibliche Offizier. Sie sahen sich an, als hätten sie aufeinander gewartet, als wäre in diesem Augenblick die Welt vollkommen.
    Olga Pannarewskaja senkte als erste den Blick. Das Blut jagte in ihre Schläfen. Was ist das? dachte sie erschrocken. Himmel, was ist das denn?
    Sie hob wieder den Kopf … er sah sie noch immer an, und ihr zweiter Blick wurde wehrloser und ergebener.
    »Ich bin Ärztin …«, sagte sie in hartem Deutsch.
    Dr. Körner reichte ihr die Hand. »Bitte, kommen Sie mit, Kollegin …«
    Als ihre Hände sich berührten, war es für sie wie ein Schlag. Sie zwang sich, an Jewgenij Alexandrowitsch Kubowski zu denken, aber sein Bild war nicht mehr da. Wie furchtbar, wie schrecklich, dachte sie. Wie ist es möglich, daß ein einziger Blick einen Menschen aufreißt?
    Hand in Hand stiegen sie über die stöhnenden Leiber.

11
    Im Operationskeller

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