Das Herz der 6. Armee
hat?«
»Eben haben sie noch geklopft!« schrie einer aus den Trümmern. »Ich hab's ganz deutlich gehört –«
»Na, denn los!« Die Steinbrocken flogen zur Seite, Balken wurden weggeschoben, Möbel auf die Straße geworfen. »Wollen hoffen, daß das mit dem Klopfen stimmt.«
Nach einer Stunde lag der Kellereingang frei. Zwei Männer der Feuerwehr krochen in die Tiefe …
2
Auf der Rückfahrt hatten sie entdeckt, daß sie das kleine Paket des Oberleutnants vergessen hatten. In Pitomnik bei der Feldpost hatten sie es abgeben wollen. Jetzt lag es noch immer auf dem Hintersitz des Kübelwagens. An Frau Erna Budde, Hildesheim.
Jenseits des Platzes im toten Winkel der russischen Artillerie, lagen andere Verbände. Dr. Körner erkundigte sich nach Oberleutnant Budde, man kannte ihn nicht. »Lieber Doktor«, sagte ein Hauptmann, der die Gefallenenliste seiner Kompanie vervollständigte, »seit gestern geht es hier zu wie in einer Bäckerei … frische Brötchen rein in den Ofen, kräftige Hitze, und dann raus aus dem Ofen. Nur scheint da ein Materialfehler zu sein. Was man rausholt, ist verbrannt und unbrauchbar …«
Dr. Körner verabschiedete sich. Der gallige Witz, der sich gerade in den unteren Führungsschichten breitmachte, war ein Humor der Hoffnungslosigkeit. Er sollte frivol und kaltschnäuzig klingen, doch in jedem Wort schwang die Angst mit. In Pitomnik hatte Körner einmal den Wehrmachtsbericht gehört. Er klang zuversichtlich, stolz, wie ein Fanfarenstoß. Der größte Teil der Stadt ist in deutscher Hand. Die Zeitungen aus dem Reich brachten seitenlange Artikel über den Sturm an die Wolga. Bilder mit Bergen sowjetischer Toten, Bilder vom Angriff deutscher Panzer in der Trümmerwüste von Stalingrad, Bilder aus dem Labyrinth von Eisenträgern und Beton der Fabrik ›Roter Oktober‹, und darin siegessichere, lachende deutsche Landser. Ein Bild heldenhafter Fröhlichkeit.
Körner hatte dieses Bild Oberst von der Haagen gezeigt. »Man sollte so etwas nicht tun«, hatte er gesagt. »Allein um meinen Lazarettkeller herum sind vier große Trichter randvoll mit Leichen …«
Oberst von der Haagen hatte Körner daraufhin verwundert angesehen und geantwortet: »Aber lieber Doktor, als Arzt müssen Sie doch den Anblick von Toten gewöhnt sein …«
Dann hatte er sich umgedreht und Dr. Körner einfach stehen lassen. Im Lazarettkeller hatte sich nichts geändert. Feldwebel Wallritz sortierte alle zwei Stunden immer noch die Leiber aus, drei Sanitäter verbanden die leichteren Fälle an der Treppe, und im OP-Keller stand Stabsarzt Dr. Portner am Küchentisch und amputierte, schnitt auf, entfernte Splitter, schiente, gab Spritzen und fluchte. Als Dr. Körner und Knösel in den Keller polterten – sie fielen fast hinein, weil wenige Meter von ihnen entfernt eine schwere sowjetische Granate eine ganze Hauswand umfegte –, warf er gerade eine amputierte Hand in den Blecheimer.
»Was machen Sie denn hier?« fragte er.
»Ich melde mich zurück, Herr Stabsarzt.«
»So etwas Dämliches müßte man einrahmen!« Dr. Portner säuberte den Armstumpf. Der Verwundete stöhnte und wimmerte in der Narkose. »Ich denke, Sie sind auf dem Weg nach Deutschland?«
»Davon war nie die Rede«, sagte Körner heiser.
»Ja, hat man Ihnen denn in Pitomnik nichts gesagt?«
»Nein! Was denn?«
Dr. Portner ließ den Stumpf auf eine Lage Zellstoff fallen. Es folgte die am Tage hundertmal wiederkehrende Handbewegung, ein Streichen des Handrückens über Gesicht und Stirn.
»Ich habe für Sie einen schönen Trick herausgefunden, Körner. Ich habe ihn sofort, als Sie weg waren, durch die Funkleitstelle an den Generalarzt durchgegeben, und man hat mir versichert, daß man Ihnen das anvertrauen wolle. Es kam alles paketweise, kurz nachdem Sie Ihre Brautfahrt nach Pitomnik angetreten hatten. Zunächst: Man denkt auch beim Generalarzt schon voraus. Man will in Stalingrad einige Lazarettschwerpunkte errichten. Krankenhäuser mit mehreren hundert Betten. Die Verwaltungsbeamten sind schon bestimmt, und sie haben – wie man mir sagte – in Tag- und Nachtarbeit einen Aufbauplan ausgearbeitet. Wir Deutschen waren schon immer gründliche Planer …«
»Ja, ist man denn völlig verrückt geworden?« Dr. Körner zog seinen Mantel aus. »Wir verbluten in den Trümmern Stalingrads, und die planen, als sei …«
»Körner, seien Sie still! Für Sie hat es etwas Gutes!« Dr. Portner vernähte die großen Blutgefäße. »Ich habe Sie als Mitglied
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