Das Herz der 6. Armee
entlang, ab nach Stalingradski. Wenn ich auch drei ober vier oder fünf Tage warten muß, dachte sich der Zahlmeister Wrovel aus der Soester Börde, verhungern werde ich nicht. Ich habe meine Feldküche randvoll mit heißer Suppe.
So trabte er dahin, in zwei Decken vermummt und einen dicken Wollschal um den Kopf gebunden. Bis er die Panzer sah … vier dunkle Ungeheuer, die plötzlich aus dem Schneenebel auftauchten und direkt auf ihn zurollten. T 34 – Wrovel kannte sie von Gumrak her. Sie ratterten quer durch die Steppe, aus den Luken sahen die pelzbesetzten Ledermützen der Panzerfahrer.
Zahlmeister Wrovel warf seine Pferdchen herum und jagte zurück nach Stalingrad. Das war ein Fehler, denn dadurch wurde man aufmerksam auf ihn. Wäre er weiter geradeaus gefahren, keiner hätte ihn aufgehalten. Was bedeutete ein einzelner Mensch mit zwei Gäulen? Und da er sowieso nach Westen fuhr, in die sowjetischen Linien hinein, war es Verschwendung, auf ihn zu schießen.
So aber schwenkten die langen Rohre der Panzer herum, die Köpfe verschwanden in den Luken, die Motoren brüllten auf … und dann knallte es aus dem vorderen Ungeheuer, pfiff es über den Zahlmeister Wrovel hinweg und schlug seitlich von ihm ins Eis. Die Panjepferde streckten die Hälse und rasten davon. Die Feldküche schleuderte über Eisbuckel und Schneewehen, Wrovel klammerte sich an seinem Sitz fest, hinter sich hörte er die Abschüsse, das Röhren in der Luft und die spritzenden Einschläge der Granaten.
Es war ein Zielschießen, weiter nichts. Der fünfte Schuß riß den Pferden die Leiber auf … sie rannten noch ein paar Meter, dann stürzten sie hin, und Zahlmeister Wrovel wurde nach vorn über die blutenden Leiber geschleudert, die Feldküche folgte ihm und rollte über das Knäuel aus Tier und Mensch.
Der sechste Schuß war ein Volltreffer … er ließ den Kessel bersten. Zweihundert Liter heiße Suppe aus Nudeln, Rindfleisch, Brühwürfeln und Mehl ergossen sich wie eine Flutwelle über den Zahlmeister Wrovel.
»Hilfe!« brüllte er, als über ihm der Kessel zerplatzte. Er wollte wegkriechen, aber über ihm lag der Schenkel eines Pferdes und hielt ihn fest wie in einem Schraubstock. Er krallte sich in das Fell, er riß und drückte … »Hilfe!« brüllte er wieder. »Hilfe!« … Aus dem Kessel schoß die heiße Suppe … eine Woge aus Nudeln und Fleisch.
Ein paar Sekunden später war der Zahlmeister Erich Wrovel aus der Soester Börde ertrunken und erstickt. Seine Nudelsuppe lag über ihm und den noch immer zuckenden Pferdeleibern … sie dampfte in der Luft von 40 Grad Kälte. Es roch nach Maggi und Rindfleisch.
Aus dem vorderen Panzer tauchte ein Kopf auf. Ein lachendes Gesicht, eng umschlossen von der Lederkappe.
»Karascho!« rief er. »Dawai! Dawai –«
Die Panzer rollten weiter, nach Stalingrad hinein.
Die schöne Nudelsuppe vereiste.
In dieser Nacht erhielt Dr. Portner den Anruf des Flugplatzkommandanten von Stalingradski, daß für morgen sechs Jus angesagt seien, die Verbandmaterial und Medikamente sowie Munition und Büchsenverpflegung einfliegen würden. Es bestände die Möglichkeit, mit diesen Jus 240 Verwundete auszufliegen. Er riefe im Auftrage von General Gebhardt an. Die 240 Verwundeten sollten eine Entschädigung für eine ›Kiste mit 9.000mal Unsinn‹ sein.
»Verstehen Sie das, Herr Stabsarzt?« fragte der Luftwaffenhauptmann.
»Aufs Wort.«
»Sie schicken die 240 Mann?«
»Sie werden in einer halben Stunde in Marsch gesetzt.«
»Ich halte die Maschinen dafür frei, wie befohlen.«
»Meinen ergebensten Dank. Empfehlung und Handkuß an die Frau Gemahlin.« Dr. Portner legte auf. Sein Gesicht war zerfurcht und gelbweiß. Dr. Körner sah ihn erschrocken an.
»Was ist, Herr Stabsarzt?«
»Man hat mich zum Totenrichter gemacht«, sagte er leise. »Ich soll 240 Mann auswählen, die man ausfliegen will. 240 von 3.500! Wen soll ich nehmen? Alle haben das Leben verdient …«
Er wandte sich ab und legte die Hand über die Augen. Dr. Körner verließ den Funkraum. Er wußte, Dr. Portner mußte jetzt allein sein. Es war niemand da, der ihm helfen konnte, der die Verantwortung abnahm.
Eine halbe Stunde später begann die Zusammenstellung des Transportes. Den Sanitätern war strengste Schweigepflicht befohlen worden. Wenn die 3.500 Verwundeten erfahren hätten, wozu einige aus ihren Reihen herausgeholt wurden, hätte es eine Panik gegeben, einen Kampf um das Leben mit einer Grausamkeit, die alle Grenzen des
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