Das Herz der 6. Armee
um jeden Eisenträger, um jeden zerfetzten Maschinenblock gekämpft und gestorben wurde?
In die Heimat! Jungs, wir fliegen in die Heimat.
Dr. Portner verabschiedete den Unterarzt, der mit nach Stalingradski fuhr.
»Grüßen Sie Deutschland, lieber Blankenhorn«, sagte er mit fester Stimme. »Und halten Sie nicht den Mund über das, was Sie hier gesehen haben. Reden Sie. Reden Sie! Und wenn man es Ihnen verbieten will, dann schreien Sie! Die verratenen Männer hier haben es verdient, daß man die Wahrheit über sie erfährt.« Er griff in die Tasche seines Mantels und zog ein zerknittertes, schmutziges Kuvert heraus. »Wenn Sie in Deutschland sind, stecken Sie es bitte in einen Briefkasten. Ein Brief an meine Frau … an die Kinder …« Portner senkte den Blick. »Ich habe geschrieben, daß es mir gutgeht …«
»Ich … ich werde alles ausrichten, Herr Stabsarzt«, sagte Unterarzt Blankenhorn mit schwerer Zunge.
»Leben Sie wohl, mein Junge.« Portner klopfte ihm auf die Schulter.
»Auf Wiedersehen, Herr Stabsarzt …«
Dr. Portner schwieg. Er stand auf einem Trümmerberg und winkte, bis der letzte Wagen im Morgendunst untergegangen war. Die beiden Geistlichen standen neben ihm, der verwundete Pastor Sanders klapperte mit den Zähnen, das Fieber überfiel ihn wieder, die Rückenwunde stach und brannte.
»Sie können noch mit …« Pfarrer Webern legte den Arm um Sanders' Schulter. Der evangelische Pastor schüttelte stumm den Kopf. So standen sie nebeneinander, im Schneedunst, den Arm um die Schulter des anderen. Zwei Freunde in Gott. Hatte es jemals einen Luther gegeben? Wo waren die päpstlichen Dogmen?
In Stalingrad galt nur das eine … Vater unser, der du bist im Himmel …
Mit ihm starben Gerechte und Ungerechte, Getaufte und Abtrünnige, Katholiken, Evangelische, Reformierte, Baptisten, Heiden.
Vater unser …
Die fünf Lkw kamen nie in Stalingradski an.
In der Steppe ging ihnen das Benzin aus. Bei 40 Grad Frost wurden die Motoren nie richtig warm … sie verbrauchten das Dreifache der Menge, die man berechnet und dem Fahrer mitgegeben hatte.
Hilflos lagen sie im Schnee. Und auch das Beten half nichts mehr.
Drei sowjetische Panzer veranstalteten ein Punktschießen auf die fünf einsamen Lastwagen. Sie fingen Feuer, brannten aus, und selbst als nur noch die Fahrgestelle glühten, lagen die Schreie in der Luft, mit denen 240 Verwundete, ein Unterarzt, sechs Sanitäter, ein Fähnrich und fünf Fahrer verbrannten.
General Gebhardt fragte nicht mehr nach, ob alles geklappt habe … er wußte es nach vier Stunden. Der Platzkommandant Stalingradskis hatte andere Sorgen … er mußte räumen, die Panzer der Sowjets rollten unaufhaltsam heran. Man hätte die 240 Mann sowieso nicht ausfliegen können. Der Kessel wurde schneller aufgespalten als gedacht. Und auch Major Bebenhausen von der Transportabteilung konnte nicht mehr fragen … er war früh um 5.18 Uhr gefallen, als die Panzerspitze der Russen seine Werkstatt niederwalzte. Er hatte sich über seine 2.000 Liter Sprit nur drei Stunden und zweiundzwanzig Minuten freuen können …
14
Noch einmal erschienen Parlamentäre der Sowjets, um in letzter Minute das große Sterben abzubrechen. Diesmal standen sie auf einer Höhe südlich der Zariza im Abschnitt der in den letzten Zuckungen liegenden Südfront des Kessels. Sie schwenkten eine große weiße Fahne und hatten einen Trompeter mitgebracht, der ein Signal blies. Es war 10 Uhr vormittags … man ließ die sowjetischen Parlamentäre nicht heran, weil – wie sich herausstellte – kein Offizier unter ihnen war. Nach dem alten Ehrenkodex des Soldaten muß eine Parlamentärsgruppe immer unter Führung eines Offiziers sein, denn auf nichts wird mehr Wert gelegt als auf ein Offiziersehrenwort. Auch in Stalingrad. Auch bei Männern, die als lebende Leichname in den Schneelöchern und Granattrichtern hockten.
Um zwölf Uhr kamen die sowjetischen Parlamentäre wieder, an der Spitze ein Major der Gardedivision. Diesmal war es richtig. Der sinnlose und nie geklärte Befehl vom 9. Januar 1943, daß Parlamentäre durch Feuer abzuweisen seien, wurde nicht ausgeführt.
So erfuhr man, daß die Totenglocken bereitstanden, das Ende der 6. Armee einzuläuten. Am 26. Januar wollten die Sowjets mit allen verfügbaren Kräften die Südfront angreifen. Gleichzeitig würde in Stalingrad-Mitte und im Norden der Stadt die Feuerwalze alles in die Trümmer drücken. Noch einmal wurde wiederholt, was Generalleutnant
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