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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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warmes Fleisch. Wie ein Raubtier, das sich festgekrallt hat, zog er es heran, spürte einen Atem vor sich und die geheimnisvolle Ausstrahlung eines Mundes.
    »Verzeihen Sie, Genossin!« sagte er noch, denn er war ein gut erzogener, höflicher Mensch. Dann küßte er die Pannarewskaja, und es war ein langer Kuß, denn es war ja stockdunkel um sie herum. Endlich ließ er sie los, bekam einen heftigen Stoß und sank auf den Stuhl zurück.
    »Ein verrückter Hund!« sagte die Pannarewskaja leise, aber ihre Stimme war in der Finsternis weich und samtig.
    Sie hat sich küssen lassen, dachte Major Kubowski glücklich. Jewgenij Alexandrowitsch, das ist der schönste Tag deines Lebens. Trotz Krieg, Naht und Jod.
    Das Hotel ›Ostland‹ in Warschau war genauso, wie es Dr. Portner beschrieben hatte. Neu aufgebaut, mit modernen Zimmern und guten Betten. Es gab einen Portier, eine Rezeption, Zimmermädchen, Kellner in weißen Jacketts, einen Oberkellner im Frack, Köche und einen Grillraum, eine Bar und viel gesellschaftliches Leben, als wäre sonnigster Frieden und kein Krieg, der täglich Tausende von Opfern kostete. Sogar ein Doppelzimmer bekam Dr. Körner, obgleich er sich wegen der unsicheren Abfahrt aus Stalingrad nicht hatte anmelden können. Daß er aus Stalingrad kam, genügte, um ein Zimmer freizumachen. Alle sprachen in diesen Tagen von der Stadt an der Wolga und dem größten Sieg der deutschen Geschichte, dem man entgegenging. Man war stolz, und man zeigte es auch.
    Nach Köln schickte Dr. Körner sofort ein Blitztelegramm: ›Komme sofort mit nächstem Zug nach Warschau stop Erwarte dich am Bahnhof stop Telegrafiere genaue Ankunftszeit zurück Hans.‹ Dann wusch er sich. Zum erstenmal seit Monaten lag er wieder in einer Badewanne und seifte sich im heißen Wasser ab. Dabei überkam ihn die Müdigkeit, seine seit Monaten angespannten Nerven lösten sich, und er schlief in der Wanne ein. Als das Wasser kalt wurde, wachte er wieder auf und wußte im ersten Augenblick nicht, wo er sich befand. Dann trocknete er sich ab und ging ans Fenster.
    Über Warschau lag tiefe Nacht. Es regnete. Er zog sich schnell an und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter in die Hotelhalle. Im großen Saal war ein bunter Abend. Durch die Türen hörte man Gesang und lautes Lachen. Der Chefportier kam Dr. Körner entgegen.
    »Etwas speisen, der Herr Leutnant?« fragte der Portier. Dann sah er den Äskulapstab auf den Schulterstücken und rang die Hände: »O Verzeihung, das habe ich zu spät gesehen. Der Herr sind Mediziner? Da kenne ich mich nicht aus in den Diensträngen.« Er sprach ein hartes Deutsch und neigte beim Sprechen den Kopf zur Seite wie ein nachdenklicher Fiakerkutscher. »Es gibt etwas Besonderes heute, Herr Mediziner. Steht nicht auf der Karte. Gefüllte Täubchen. Ist nur für die besonderen Gäste …«
    »Danke. Nachher.« Dr. Körner sah wieder auf seine Uhr. »Das Telegramm nach Köln ist doch weggegangen?«
    »Aber ja, Herr Mediziner.«
    »Wie lange läuft es schätzungsweise?«
    »Schätzungsweise – es war ein Blitz, nicht wahr – nun, nicht mehr als zwei Stunden.«
    »Und zurück nach Warschau?«
    »Wenn auch Blitz … vielleicht vier Stunden. Es kommt auf das Postamt an.«
    »Haben Sie einen Fahrplan hier?«
    »Alles! Aber der Herr Mediziner mögen bedenken, daß die Züge nicht mehr nach Fahrplan fahren. In der Heimat des Herrn bombardieren englische Flieger –«
    »Einen ungefähren Anhalt hat man aber.«
    Lange blätterte Dr. Körner in dem dicken Fahrplan, der Zahlen und Zeiten nannte und den Beweis deutscher Gründlichkeit erbrachte. Nach dem Fahrplan konnte Marianne morgen gegen Abend in Warschau eintreffen, wenn sie heute mittag nach dem Telegramm gleich abgefahren war. Sonst übermorgen früh gegen sechs Uhr … das war die äußerste Möglichkeit.
    »Einmal hat ein Zug zwei Tage gebraucht«, sagte der Portier, als Körner das Kursbuch zurückgab. »Es ist ganz individuell … wie es die Engländer wollen …«
    Das klang wie eine versteckte Frechheit. Dr. Körner überhörte sie. Seine Gedanken waren bei Marianne.
    »Wo kann ich essen?«
    »Im kleinen Speisesaal, Herr Mediziner.«
    Das Essen war gut, reichlich und schmackhaft. Nur handelte es sich nicht um Tauben. Mit viel Gewürzen, vor allem Majoran in der Füllung, hatte man versucht, einen etwas herben Geschmack zu überdecken. Zudem mußten es polnische Riesentauben sein, noch nie hatte Dr. Körner solche großen und prallen Taubenkörper gesehen. Als er

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