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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Oberzahlmeister begriffen es einfach nicht, wieso sich immer wieder, und zwar grundlegend, die Bestandsmeldungen in Stalingrad änderten, wo die Stadt doch fest und sicher in deutscher Hand war und nur an wenigen, winzigen Punkten ›Stoßtrupp-Tätigkeit‹, wie es der Wehrmachtsbericht nannte, herrschte. Hinter dieses Geheimnis zu kommen, verursachte Geduld und Zeit.
    Und so lagen in den Magazinen und Lagern von Peskowatka, Millerowo, Tormosin, Tschir, Tatsinskaja, Tscherkowo und Kamyschewskaja, fein säuberlich gestapelt und gezählt und listenmäßig erfaßt: 40.000 Pelzmäntel, Pelzmützen und Pelzstiefel. Zur Konservierung dieses haarigen Bestandes lagerten gleichzeitig 25 Zentner Mottenpulver. Ferner wurden aufgeschichtet: 200.000 Hemden, 100.000 Paar Filzstiefel, 40.000 Mützen, 83.000 Unterhosen, 53.000 Uniformröcke, 61.000 Uniformhosen, 121.000 Tuchmäntel und eine Riesenmenge Strümpfe, Pulswärmer, Handschuhe, Kopfschützer, Ohrenschützer, Schals und Halstücher. Hier lagen Kamelhaarpantoffeln, Kaffeewärmer, Fußballtrikots, Damenmuffs, Ringelsöckchen, Angorapullover, Schlittschuhstiefel und – großväterliche Schlafröcke.
    Ein Gebirge von Kleidung türmte sich rund um Stalingrad auf … aber die kämpfende Truppe sah davon nichts! Es war ja ihre Schuld, daß sie so merkwürdige, sich immer ändernde Meldungen abgab, die die Listen der Zahlmeister immer wieder durcheinander brachten und daher eine Ausgabe verhinderten.
    In dieser Welle von Nervosität und Sich-im-Kreise-Drehen kam Dr. Körner hinein. Generalarzt Professor Dr. Abendroth begrüßte ihn kurz und nahm die Grüße Dr. Portners entgegen. Aber es schien, als ob er die Worte gar nicht wahrnehme. Auch in seiner Verwaltung schossen die Beamten Kobolz. Hier war es vor allem das Transportsystem, das Sorge bereitete. Es war zu wenig Laderaum vorhanden, um alle Verwundeten aus Stalingrad und den umliegenden Lazaretten wegzubringen. Andererseits fuhren täglich lange Leerzüge nach Westen, aber sie zu benutzen war unmöglich, weil sie als Nachschubtransportraum deklariert waren und die verantwortlichen Intendanten peinlich darüber wachten, daß mit diesen Waggons nur Versorgungsgüter, aber keine Verwundeten transportiert wurden.
    Sie hatten auch eine gute deutsche Erklärung dafür: Für den Verwundetentransport gab es die Sankas und die Lazarettzüge. Wenn erst einmal die Unordnung einriß, daß artfremde Dinge in genau bestimmten Waggons transportiert wurden, ergäbe sich ein Chaos. So rang also Generalarzt Professor Abendroth um Waggons und Autos und schlug sich mit dem Generalintendanten herum.
    Um Dr. Körner kümmerte sich niemand. Er stand in Pitomnik, sah den landenden Flugzeugen zu und wunderte sich über die Masse Material, die ausgeladen wurde. Es war ihm rätselhaft, wohin alles kam, denn vorne, in der Stellung am ›Tennisschläger‹, wurden die Bunker überrollt, weil die Soldaten keine schweren Waffen hatten und die Patronen zählten, bevor sie sie schossen.
    Endlich, am 15. November, stand die Sondermaschine auf dem Flugplatz bereit. Man begrüßte sich im Gebäude der Flugleitung, stieg in die Ju und ließ sich emportragen in einen düsteren grauen Himmel. Ein Stabsintendant drückte das Gesicht an die Scheibe.
    »Sieht nach Schnee aus«, sagte er. »Die Jungs in Stalingrad sollten 'was voran machen! Mit etwas mehr Schwung hätten sie längst die paar Russennester ausräuchern können. Ich verstehe einfach nicht, daß es nicht vorangeht. Unsereiner hat doch auch alles planmäßig in Ordnung …«
    Dr. Körner schwieg. Er war innerlich zu aufgewühlt, um aktionsfähig zu sein. Was hätte es auch für einen Sinn gehabt, aufzustehen und zu sagen: ›Herr Stabsintendant – Sie sind ein dreckiges Schwein!‹? Man würde ihn zusammenbrüllen und einen Tatbericht einreichen.
    Körner sah sich um. Er war der Jüngste und Rangniedrigste im ganzen Kreis. Er merkte es auch daran, daß man ihn nicht ansprach oder in die Unterhaltung zog. Man beachtete ihn kaum. Er flog mit, das war auch alles. Die gut genährten, rundlichen Gesichter der Zahlmeister und Spezialisten, darunter ein Architekt, der Pläne für eine Lazarettstadt Stalingrad mit sich führte, und ein Verwaltungsbeamter, der in zwei Eisenkisten wichtige Bestandsmeldungen herumschleppte, glänzten schweißig. Es war warm in der Maschine, drückend schwül und stickig. Man knöpfte die Uniformkragen auf und ließ eine Flasche Cognac kreisen. Bis zu Körner kam sie nicht. Er saß

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