Das Herz der 6. Armee
wie eine fröhliche Geschichte.
Pawel Nikolajewitsch, das fröhliche Großväterchen, hatte einen Elefanten gesehen.
Man wird begreifen, daß ihm das niemand glaubte. Ein Elefant in Stalingrad. Mitten in der Stadt. In den Trümmern. Mit pendelndem Rüssel, wackelnden Ohren, blinkenden Stoßzähnen und um sich schlagendem Schwänzchen.
»Und ich sage euch«, schrie Abranow und hob beide Arme zum Himmel wie ein Feuerbeschwörer, »er stand da. Riesengroß, grau und ein wenig ratlos. Er hob den Rüssel und kratzte sich damit den Kopf …«
Die Männer um ihn, brave Sowjetsoldaten, verwundet und verbunden, lächelten breit und nachsichtig. Vera Kaljonina war es, die sich ihres Großvaters schämte. Aber auch sie war machtlos gegen den Alten, und als es sich herumgesprochen hatte, was Väterchen Abranow gesehen haben wollte – und es ging bald von Erdhöhle zu Erdhöhle am Steilufer der Wolga –, kamen immer neue Rotarmisten und hörten zu, wie der Elefant sich ohne besondere Eile wieder in Bewegung gesetzt hatte und hinter den Ruinen eines Wohnblocks verschwunden war.
Die Angelegenheit reizte zum Nachdenken, als Iwan Iwanowitsch Kaljonin für einen Tag Urlaub bekam, zu seiner jungen Frau Vera eilte und – statt sich in ihre sehnsüchtigen Arme zu werfen – zunächst fragte: »Ist der Elefant bei euch gewesen? Wo ist er hin? Der Genosse Oberst will es wissen, er ist ein sehr großer Tierfreund …«
»Seht ihr«, brüllte Abranow, »seht ihr. Auch er hat ihn gesehen. Und ihr lachtet mich aus, ihr Hundesöhne. Ein Elefant, sage ich. Ein indischer Elefant. Er geht mitten durch die Stadt …«
In dem Befehlsbunker im Wolgasteilhang vergaß man einen Augenblick, daß Krieg war, daß an Wolga, Don und Tschir die Armeen nach zwei Seiten kämpften und sich ein Sieg abzeichnete, wie er in diesem Krieg noch nicht errungen worden war. Man vergaß sogar für wenige Minuten, daß im Nordteil der Stadt das Armeekorps des deutschen Generals von Seydlitz die guten Stellungen geräumt hatte und sich nun – wer soll das verstehen? – weiter westlich eingrub, Maulwürfen gleich. Von der Telefonzentrale des städtischen Verteidigungskomitees und dem Gebäude des Verteidigungskomitees der Partei ging die Frage an alle Kommandeure der sowjetischen Truppen: Wer hat den Elefanten gesehen?
Es stellte sich heraus, daß viele ihn gesehen hatten. Und auch die Herkunft war klar. Stalingrad hatte einen schönen Zoologischen Garten gehabt, nicht groß, aber gepflegt. Er konnte nur zu einem Teil geräumt werden, als die deutschen Armeen zur Wolga stießen. Ein paar Tiere blieben zurück, um deren Schicksal sich niemand mehr kümmern konnte, weil es galt, die großen Werke und den Zugang zur Wolga zu verteidigen. Unter diesen zurückgelassenen Tieren war auch der Elefant. Nachdem sein Gehege zerstört worden war, hatte er sich abgesetzt und war durch die Trümmerwüste gewandert. Irgendwo schlief er in den Ruinen und stampfte zwischen den Fronten umher.
Iwan Grodnidsche vom Parteikomitee raufte sich die Haare, als er die Meldungen las.
»Wovon lebt er denn?« rief er entsetzt. »Als er im Zoo war, verbrauchte er täglich eine kleine Wagenladung Heu und Brot. Er war ein teurer Kostgänger. Und jetzt läuft er allein und ohne Pflege durch die Trümmer und lebt dennoch. Man sollte sich die Haare ausraufen …«
Ganz schlimm war es unter der zurückgebliebenen Zivilbevölkerung und vor allem bei den Kindern, als die Existenz des Elefanten bekannt wurde. Alle wollten ihn sehen. Die Kinder bettelten und weinten, wenn man ihnen klarzumachen versuchte, daß es nicht sein könnte, weil draußen der Tod vom Himmel hagelte. Er wird frieren, sagte man. So ein armer Elefant. Er ist doch Hitze gewöhnt. Jetzt geht er durch Eis und Schnee, und eines Tages wird er vor Hunger und Schwäche umfallen und eingehen.
»Das Vieh muß her«, sagte Iwan Grodnidsche vom Parteikomitee. »Soll man das für möglich halten, Genossen? Da leben sie wie die Ratten in den Kellern und Erdhöhlen und heulen um einen Elefanten. Haben wir nicht andere Sorgen?«
Aber das sagte er nur, wenn die anderen bei ihm waren. Saß er allein an seinem Telefon in der Befehlszentrale, telefonierte er herum und fragte: »Sagt, Genossen, wo ist der Elefant? Meldet ihn mir sofort! Wir haben am Wolgaufer einen Ballen Heu bereitgelegt …«
Auch der Greis Abranow wurde wieder aktiv. Er gründete ein ›Komitee zur Rettung des Elefanten‹. Mit einer Liste ging er herum und sammelte
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