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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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war.
    »Sehen Sie, Genosse Kommissar«, rief Abranow empört, »daß die Vorräte für den Elefanten gesammelt worden sind? Glaubt ihr, wir hätten das alles aus der Wolga gefischt? Nein, aus der Stadt ist alles gekommen … die tapferen Rotarmisten haben es gebracht, abgehungert haben sie sich's, die Brüderchen, für den Elefanten … das ist die reine Wahrheit.«
    Shuri Andrejewitsch Fulkow kratzte sich die häßliche Glatze. Er hatte den Elefanten nie gesehen, und wenn man ihm davon erzählte, so interessierte ihn nicht der Rüsselträger, sondern vielmehr, was seine Milizsoldaten in den Kochtöpfen hatten. Und das war wenig, verflucht noch mal. Auch der beste Patriot fällt einmal um, wenn er einen leeren Magen hat. Pulver und Blei kann man nicht fressen, und immer nur heißes Wasser mit ein paar Rübenstücken darin ist keine Kraftnahrung für Männer, die Mütterchen Rußland schützen sollen. Unter diesen Aspekten handelte Fulkow weise, als er jetzt sagte:
    »Der Elefant ist tot. Das städtische Verteidigungskomitee beschlagnahmt die Vorräte.«
    »Oho, wo ist der Beweis?« schrie Abranow. Er schwenkte das Gründungsprotokoll des Elefantenkomitees vor Fulkows Nase, als müsse er ihm frische Luft zuwedeln. »Drei Bataillone haben die Patenschaft übernommen. Oberst Pjoterimik hat sogar …«
    »Soll man es für möglich halten?« schrie Fulkow zurück. »Ein Elefant ist wichtiger als die tapferen Verteidiger der Stadt? Blöd seid ihr, dumm, idiotisch.« Und dann tat er etwas, was Abranow an den Rand eines Schlaganfalles brachte. Er riß das Gründungsprotokoll aus der Hand des Greises und zerfetzte es. Samt der Unterschrift von Marschall Tschuikow. So mutig war Shuri Andrejewitsch Fulkow, oder so hungrig … man konnte es individuell auslegen. »Das ist es wert«, brüllte er dabei. »Das. Nur das. Ein paar Fetzchen. Zu klein, um sich den Hintern damit abzuwischen.«
    Abranow kapitulierte. Gegen Maßlosigkeit und Unhöflichkeit kann man nicht angehen. Es ist zwecklos, wenn der Krieg die guten Sitten verroht, ein Idealist zu sein.
    »Gut denn, gut denn«, sagte er geschlagen. »Holt alles ab. Ihr werdet sehen, welchen Eindruck es macht bei den tapferen Männern, die es sich abgehungert haben …«
    Der Ehrlichkeit wegen sei gesagt, daß es gar keinen Eindruck machte. Aber in der Front Stadtmitte hatten sie wieder einmal einen vollen Kessel und schlugen sich den Magen voll mit zwar saurem, aber sättigendem Kapusta. Die Deutschen merkten es direkt. Drei Straßenzüge wurden zurückerobert und zwei deutsche Paks erbeutet.
    Aber man hatte in Stalingrad auch andere Sorgen als der etwas kindische Greis Abranow. Die deutsche 6. Armee war eingekesselt, und von allen Seiten drückten die sowjetischen Divisionen die Kesselwände ein, trieben Beulen und Risse und zwangen die deutschen Regimenter, zurückzugehen und sich immer mehr zusammenzudrängen. Das hatte zur Folge, daß die deutschen Truppen statt nach Westen nach Osten strebten, hinein in die Stadt Stalingrad, die allein eine konstante Front bildete, in der sich die Hinundherbewegungen nur in der Größenordnung einzelner Häuser messen ließen. Im Süden hatte man Beketowka freigekämpft, im Norden Rynak, aber was man an deutschen Truppen zurückgetrieben hatte, zog sich kämpfend in die Stadt hinein und drückte auf die müden, ausgebluteten, hungernden und unter Munitionsmangel leidenden Verteidiger.
    Von ihrem jungen Ehemann Iwan Iwanowitsch Kaljonin hatte Vera nichts mehr gehört, seitdem Major Kubowski wieder an die ›Tennisschläger‹-Front zurückgekehrt war. Da auch das Feldlazarett des Majorarztes Sukow mitten in die Stadt verlegt wurde, fiel der Nachrichtendienst über die Verwundeten aus, die sonst berichteten, daß der Mladschij-Sergeant Kaljonin noch wohlauf sei und sich tapfer benehme wie ein richtiger Held.
    Er hatte es auch nötig, ein zäher Held zu sein, denn seit einer Woche war er vermißt. Major Kubowski scheute sich, ihn als tot zu melden, aus dem dumpfen Gefühl heraus, dem Schicksal nicht vorzugreifen. Und er tat gut daran, denn Kaljonin saß allein in einem Keller. Er war verschüttet.
    Das war ganz plötzlich geschehen, wie es die Eigenschaft großer Dinge ist, unangemeldet einzutreffen. Es war an einem der Tage, in denen die Deutschen sich dem Befehl Hitlers beugten, nicht aus dem Kessel ausbrachen, sondern sich zusammenzogen und versuchten, die alten, aufgegebenen Stellungen in der Trümmerwüste der Stadt wieder zu besetzen oder

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