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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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als lese er eine andere Version des Telegramms, das er in Warschau erhalten und das sein Weltbild verändert hatte. Er hielt den Brief auch noch in den Händen und sah auf das Papier, als er ihn längst zu Ende gelesen hatte. Marianne, dachte er. In einem Keller erstickt. Und man hat mich mit einer Toten verheiratet, und der Oberst sprach von der großen Stunde, in der die Herzen die Waffen besiegen und die Nation dem Siege entgegeneilt, und daß auch diese Ehe ein Symbol ist für den Lebenswillen der Jugend, die einmal Träger der stolzesten Generation sein wird, die je auf dieser Welt lebte … Und zur gleichen Stunde grub man sie aus und trug die Bündel zum Massengrab auf den Friedhof Melaten, wo sie nebeneinander liegen, Reihe an Reihe, Körper neben Körper, ›Richt euch‹ noch im Grab … und um sie herum standen Hunderte oder Tausende und starrten auf die Särge, und keiner von ihnen riß die Fahnen von den Stangen und schrie Mord, Mord, Mord an einem ganzen Volk …
    Stumm gab Dr. Körner den Brief an Wallritz zurück. Er beugte sich über den noch immer besinnungslosen Sigbart. Aus einer Rißwunde an der Stirn lief Blut über sein Gesicht. Es war die Stelle, wo er auf die Holme geprallt war.
    »Jetzt haben Sie sogar echtes Blut, Wallritz«, sagte Dr. Körner heiser.
    »Er ist nach diesem Brief desertiert, Herr Assistenzarzt.« Wallritz faltete den Brief und steckte ihn ein. »Zu Fuß ist er von Stalingrad nach hier. Er hat keinerlei Chancen mehr … so oder so wird er erschossen werden … als Deserteur, wenn man ihn entdeckt, als … als …« Wallritz suchte nach einem Begriff und fand ihn nicht. »… wenn Sie uns melden.«
    »Und Sie mit, Wallritz.«
    »Ich weiß, Herr Assistenzarzt.« Feldwebel Wallritz stand auf und legte seine Koppel ab. Es war eine Geste der völligen Aufgabe. »Aber glauben Sie mir, ich konnte nicht anders. Er ist ja mein Bruder …« Dr. Körner erhob sich von dem Schemel. Er nahm die Pistole aus der Tasche, Sigbarts Pistole, und legte sie auf den Instrumententisch. Wallritz starrte sie an und wußte nicht, was Körner damit meinte. Es gab nur eine Erklärung, aber bei diesem Gedanken versagte ihm der Atem. Er hatte keine Angst, zu sterben, aber es erschien ihm unmöglich, dies mit eigener Hand zu tun und vorher seinen Bruder zu töten.
    Dr. Körner sah gegen die feuchte Zeltleinwand. Sein Gesicht war hart und im Profil, das Wallritz zugekehrt war, spitz und knöchern.
    »Herr Assistenzarzt«, stotterte Wallritz hilflos.
    »Ich habe heute nacht das OP-Zelt nicht betreten«, sagte Dr. Körner heiser. »Wir haben uns zuletzt gesehen bei der Versorgung der vier Neueinlieferungen. Gute Nacht, Feldwebel.«
    »Gute – Nacht, Herr Assistenzarzt …« Die Worte wurden hervorgewürgt. Dann fiel der Zelteingang wieder zu, und hinten auf der strohbedeckten Trage rührte sich ächzend Sigbart Wallritz.
    Vor dem Zelt blieb Dr. Körner stehen und atmete tief auf. Was er soeben getan hatte, hätte er nie für möglich gehalten. Und er hatte es getan, ohne den geringsten inneren Widerstand – nur der Gedanke an Marianne war in ihm gewesen, das Wissen um ein verlorenes Leben, um eine gestohlene Jugend, um ein sinnlos vernichtetes Glück. Und dieser Gedanke war ganz sein Wesen geworden, schon in Warschau, und alles, was er fernerhin tun würde, waren Handlungen dieses neuen Wesens. Militärisch gesehen hatte er jetzt ein Verbrechen gedeckt … aber er fühlte sich nicht als Mitschuldiger, sondern war glücklich darüber, so gehandelt zu haben.
    Von weitem sah er Stabsarzt Dr. Portner durch den Schnee stapfen. Er hatte einen ganz neuen Lammfellmantel an und war vor drei Stunden mit einem dünnen Stoffmantel weggegangen. Dr. Körner ging ihm entgegen; sie trafen sich an den alten Kesselwagen.
    »Sehen Sie sich das an, Kollege«, rief Dr. Portner und klopfte gegen den dicken Pelzmantel. »Zweitausend Stück sind davon angekommen … aber keiner hatte 'ne Ahnung davon. Die gingen unter der Hand weg wie bettfreudige Jungfrauen. Großzügig hat mir der Stabsintendant einen überlassen, weil er mich als Arzt auch mal brauchen könnte, wie er sich ausdrückte. Da sind Sie platt, was? Ringsherum der Iwan, und noch immer wird geschoben. Ich wäre ein Nilpferd gewesen, wenn ich da nein gesagt hätte.« Er blickte über seine Zelte und sah den Lichtschein im OP-Zelt. »Nanu, ist da noch was los?«
    »Nichts, Herr Stabsarzt.« Dr. Körner schüttelte den Kopf. »Wallritz kocht nur noch die Instrumente aus

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