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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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    Iwan Iwanowitsch Kaljonin hatte es sich gemütlich gemacht. Man soll es nicht glauben, aber auch so etwas gab es in Stalingrad. Wenn man keine Ansprüche an Luxus stellte, war eine Mulde zwischen zwei herabgestürzten Decken wirklich ein gemütliches Plätzchen. Hier konnte man ein Nickerchen machen, seine Zigarette aus der Prawda drehen, vor sich hinträumen, ein Liedchen singen – ich bitte, warum nicht, wenn einem der Sinn danach steht – und ab und zu den Kopf heben und hinübergucken zu den Deutschen, ob sie auch schön brav sind und ihr Weihnachtsfest feiern.
    Doppelt glücklich war Kaljonin, weil er am sogenannten Heiligen Abend beschert worden war. Nicht von Englein oder dem Weihnachtsmann – den hatten die Bolschewiki abgeschafft –, sondern von Veraschka, seinem süßen Weibchen. Plötzlich war sie in dem Haus, zwischen dessen zerborstenen Decken es sich Kaljonin so gemütlich gemacht hatte, sie war einfach da, kroch zu ihm, fiel ihm um den Hals und sagte, als sei es ganz natürlich: »Ein frohes Fest, Wanja …« Dann hatte sie ihn geküßt, sich an ihn gekuschelt, seinen Bart gestreichelt und eine Flasche Knollenschnaps ausgepackt.
    »Wo kommst du her, Veraschka?« hatte Iwan Iwanowitsch streng gesagt. »Hier ist die Front, mein Täubchen. Sie können dir die Flügelchen wegschießen. Und was dann? Los, zurück! Woher weißt du überhaupt, daß ich hier bin?«
    »Von Piotr, der dir die Verpflegung brachte. Er wollte erst nichts sagen, aber dann habe ich ihm ein Büchschen Sojabohnen in den Rock gesteckt. Freust du dich, Wanja?«
    Und wie er sich freute, der gute Kaljonin. Er trank ein paar lange Schlucke aus der Flasche und faßte Vera um die Taille. Ein bißchen unbequem war's schon, ein wenig hart im Kreuz und vor allem uneben, aber Iwan Iwanowitsch war ein kluger Junge. Er zog seinen Mantel aus und baute aus Steppstoff und Brotbeuteln ein schönes Lager in der Deckenmulde.
    »Du wirst frieren, Wanja«, sagte Vera, als er sie auf seinen Mantel legte. »Du zitterst schon.«
    »Das ist etwas anderes, Täubchen«, stotterte Iwan Iwanowitsch. Er fror erbärmlich, zugegeben, aber so etwas gesteht man nicht in dieser Situation. Er hoffte darauf, daß es ihnen beiden bald warm werden würde. So war's denn auch; sogar schwitzen tat er, der brave Kaljonin, und sein Frauchen kam sich vor, als würde sie gebacken.
    Später saßen sie nebeneinander und sahen hinüber zu den Weihnachtskerzen der Deutschen.
    »Schön sind eigentlich diese Kerzen, nicht wahr, Wanja?« sagte Vera Kaljonina verträumt und lehnte an Kaljonins Schulter. »Mamuschka zündete auch immer eine Kerze an … ich kann mich daran erinnern … auch wenn Papuschka schimpfte. Er war ein großer Bolschewik …«
    »Auch wir brannten Kerzen.« Kaljonin streichelte das Haar Veras. Mein kleines, liebes, süßes zierliches, warmes, nach Rosen duftendes Vögelchen, dachte er voll Zärtlichkeit. Warum muß Krieg sein? Warum schießen wir uns tot? Die da drüben uns und wir sie da drüben? Warum stehen wir nicht alle um eine Kerze und singen? Er seufzte und legte seine Hand auf Veras Brust. »Einmal hatten wir eine rabiate Kerze … sie bekam eine große Flamme und sengte die Ikone an. Gab das ein Geschrei. Ein Kind war ich damals noch, aber ich weiß es noch genau. ›Das ist Gottes Finger‹, schrie Mamuschka. ›So werden wir eines Tages alle verbrennen …‹ Sie war eben eine einfältige Frau …«
    Gegen Morgen war Veraschka wieder zurück zum Lazarett gekrochen und ließ Iwan Iwanowitsch mit teils traurigen, teils sündigen Gedanken in seiner zerborstenen Hausdecke zurück. Er schlief ein wenig, und keiner kann ihm das verübeln, denn schließlich hatte er eine lange Nachtwache am Busen Veraschkas hinter sich.
    Er wachte auf, als es über ihm, im zweiten Stockwerk des Hauses, rumorte. Wie Schritte klang es, wie das Tappen von benagelten Stiefeln. Da er mit dem Ohr auf der Betondecke lag, die vom zweiten zum ersten Stock herabhing, hörte er es ganz deutlich. Außerdem kamen die Schritte näher, dem kritischen Punkt entgegen, wo sich die Decke senkte und wie eine Rutschbahn zur Mulde führte, in der Kaljonin wie ein Kaninchen hockte.
    Iwan Iwanowitsch schob seine Maschinenpistole vor und entsicherte sie. Eine schöne mistige Falle ist dieses Plätzchen, dachte er plötzlich. Was man auch macht … was von oben kommt, rutscht automatisch auf mich. Ob ich schieße oder nicht … rumm, es kommt heran. Man hat noch nie einen Gegenstand

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