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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gesehen, der eine schiefe Ebene nach oben rollt.
    Es war Kaljonins Glück, daß er langsamer dachte, als die Dinge sich entwickelten. Ehe er seine Maschinenpistole hochreißen und feuern konnte, sauste ein schwerer Körper auf ihn zu, es klang blechern, als ein Helm über den Betonboden schleifte, eine Stimme schrie treffend: »Solche Scheiße!«, dann wurde Kaljonin zugedeckt, die Maschinenpistole verlor allen Sinn, er bekam keine Luft mehr, die Pelzmütze rutschte ihm über die Augen und verdunkelte den Tag … es war schon ein schöner Dreck, zum Ausspucken war's.
    Mit Händen und Beinen stieß Iwan Iwanowitsch um sich, er griff in sein Gesicht, wurde unfreundlicherweise sofort in den Handballen gebissen, dann war es wieder Tag, jemand riß ihm die Pelzmütze von den Augen, und er starrte mit wildem Blick in ein Gesicht, das ihm bekannt, ja sogar brüderlich vorkam.
    »Mensch, det kann die Tomaten blaß machen … du bist det?«
    Knösel drückte sich von Kaljonin ab und lehnte sich gegen die Betondecke. Iwan Iwanowitsch wischte sich über die Augen. Es ist eben Weihnachten, dachte er. Da hören die Wunder nicht auf.
    »Briieederchen …«, sagte er und grinste verlegen. Er schielte zu seiner Maschinenpistole, die neben seinen Füßen lag. Knösel sah den Blick und schüttelte den Kopf.
    »Det mach mal nich. Krieg zwischen uns is doch blöd, wat?«
    »Nix Kriegg«, sagte Kaljonin und grinste befreiter. »Du und ich … Kamerad …«
    Knösel streckte den Kopf vor und schnupperte.
    »Sag mal, Junge … haste jesoffen?« Und als Kaljonin ihn verständnislos anstarrte, machte Knösel die Bewegung des Trinkens. »Wodka, alter Knabe?! Wodka?«
    »Da, da.« Kaljonin nickte. Er holte aus dem Brotbeutel die Flasche, die ihm Vera gebracht hatte. Sie war noch halb voll … wer ein süßes Weibchen im Arm schaukelt, denkt nicht ans Trinken. Knösel setzte die Flasche an die Lippen, nachdem er erst daran gerochen hatte. Dann rülpste er und gab die Flasche an Kaljonin zurück.
    »Det ist, als wenn mir Emma über'n Rücken krault«, sagte er. »Aba det vastehste nich.« Er setzte sich neben Iwan Iwanowitsch und schob den weißgestrichenen Helm in den Nacken. »Wat machen wir nu? Eener von uns is Jefangener. Aba wer? Soll'n wir knobeln?«
    »Komm mit«, sagte Kaljonin, als errate er Knösels Gedanken. »Krieg kaputt für dich …«
    »Und dann verrecke ich in euren Jefangenenlagern! Nee! Komm du mit, Iwan …«
    »Isch?« Iwan Iwanowitsch schüttelte entschlossen den Kopf. »Isch habe Vera …«
    »'n Weib! Schön, Kumpel? Mollig, wat? So 'ne griffige Madka, wat? Obern rund und hinten rund und in der Mitte heiße Steppe … Kenn ick von Minsk her, Junge. Muschka hieß se. Det hält keen deutsches Rückenmark aus … Jib mir noch 'n Schluck, Iwan …«
    Er nahm Kaljonin noch einmal die Flasche aus der Hand und trank. Kaljonin lachte und klopfte Knösel auf die Schulter.
    Er hat mir das Leben gerettet, dachte er. Was wäre Vera jetzt ohne ihn? Ein weinendes Witwechen! Ein zerbrochenes Vögelchen. Wenn man's genau nimmt, verdanke ich ihm mein Glück. Vielleicht sogar ein strammes Kindchen, wenn's gestern nacht passiert ist. Dieser Gedanke machte ihn weich und romantisch.
    »Komm mit, Briieederchen …«, sagte er wieder. »Nix Krieg mähr … Hitler kaputt, Germanskij kaputt … du läben! Schönn läben …«
    Der Obergefreite Schmidtke, genannt Knösel, dachte nach. Es war eine jener Minuten, in denen ein Mensch schwach werden kann, so absolut schwach, daß er sich später bei der Erinnerung daran nicht mehr wiedererkennt.
    Knösel wischte sich zerfahren über das dreckige Gesicht. Daß er überhaupt zögerte, war schon etwas, was ihn innerlich erschreckte. Das Angebot war klar: Gefangenschaft, Überleben, irgendwann einmal Rückkehr nach Berlin. Aber eine Garantie war es nicht. Und dann war da etwas, was man nicht erklären kann, was vielleicht Idiotie ist, Dummheit in der Potenz, was man aus den Gehirnen herausschlagen sollte und was doch immer wiederkehrt, vor allem, wenn man mit den anderen im Dreck liegt, mit ihnen hungert und mit ihnen stirbt: Das Gefühl der Kameradschaft. Er dachte an die Kumpels in den Kellern unter dem Kino, an Stabsarzt Dr. Portner und den jungen Dr. Körner, an Wallritz und die vereisten Gestalten entlang der Kellerwand, an das Stöhnen und Wimmern, das stumme Sterben und das Aufbäumen im Fieberwahn.
    Iwan Iwanowitsch Kaljonin war verblüfft, als er plötzlich seine eigene Maschinenpistole mit dem

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