Das Herz der Drachen (Eiswandlerin) (German Edition)
gestorben, Jeremie fort, Jill entführt. Und jetzt war
es Kate, die gegangen war, ohne sich zu verabschieden, ohne
Erklärung. Sie wollte weinen, aber es kamen keine Tränen.
Zu oft hatte sie in den vergangenen Tagen geweint. Meistens heimlich,
weil sie keine Schwäche zeigen wollte.
„ Steh
auf Mai.“, sagte Claire streng.
„ Nein.“
„ Steh
auf, es ist nicht zu spät. Du kannst noch etwas tun.“
Entschlossen zog Claire sie auf die Füße. Sie hatte nicht
genügend Kraft, um sich zu wehren.
„ Was?
Was soll ich tun?“, schluchzte Mai.
„ Hör
mir zu.“ Claire schüttelte sie leicht. „ Du gehst
auf der Stelle zu diesem Drachenmädchen. Sie kennt die letzte
Strophe von deinem Lied. Ich habe es selbst gehört, allerdings
nicht bis zum Ende. Also du gehst zu ihr und lässt sie dir
erzählen. Ich will, dass du das Ende herausfindest. Ich gehe in
der Zwischenzeit zu den Wächterdrachen und erzähle ihnen
was passiert ist. Sie können uns sicher helfen.“
„ Aber
woher wissen wir was sie vor hat?“, flüsterte Mai.
„ Sie
sucht nach Tarsis, denke ich. Und wenn wir uns nicht beeilen, wird
sie irgendetwas Dummes anstellen, also los. Wenn ich klug wäre,
würde ich sie einfach in ihr Unglück laufen lassen. Dann
wäre ich sie los. Geh jetzt und such Cassy. Du hast das mit dem
Aufspüren doch sonst immer drauf.“, entschied Claire und
rannte los.
Dann war Mai
alleine. Sie atmete schwer, als würde sie kaum Luft bekommen.
„ Cassy?“,
rief sie laut. Es war ihr egal, wer sie außerdem hören
konnte. Sie konnte nicht klar denken.
„ Cassy?
Wo bist du?“, sie schrie und rannte blindlings drauf los. Immer
wieder rief sie nach Cassy, doch die schien wie vom Eis verschluckt.
Niemand war zu sehen. Sie waren alle gegangen. Weg. Fort. Allein.
Eddy. Jeremie. Jill. Kate. Sogar Claire.
„ Cassy.“,
flüsterte Mai nur noch und ließ sich auf den Boden fallen.
Es war ihr egal, dass sie fror. Es war ihr gleich, was passierte. Für
den Moment wollte sie nichts lieber, als sterben. Sterben, um nicht
mehr allein zu sein.
„ Mai!
Hey, was tust du da?“ Sie kannte die Stimme, aber sie ließ
die Augen zusammengekniffen und versuchte weiter zu verschwinden, wie
all die Anderen.
Wieder zog sie
jemand hoch, aber dieses Mal war es nicht Claire, sondern ihr Bruder.
Alessio war noch da. Sie drückte ihn so fest, dass er
wahrscheinlich keine Luft mehr bekam.
„ Geh
nicht weg. Bitte geh du nicht auch noch weg.“, wiederholte sie
mehrmals. Er lachte.
„ Wie
bitte? Wo soll ich denn hingehen? Mai, was ist hier los und wo ist
Kate? Sie wollte doch zu dir.“, meinte er.
„ Weg.
Weg. Alle sind weg.“, hauchte Mai und klammerte sich an seinen
Ärmeln fest.
„ Wie
weg? Was redest du da?“ Alessio klang verwirrt.
„ Claire
sagt, sie ist weg und Cassy weiß als Einzige, wo sie ist, aber
die ist auch weg.“, erklärte Mai stockend und versuchte
ihre Worte und Gedanken zu ordnen.
„ Wie
kommst du darauf? Cassy ist nicht weg. Sie ist bei uns, zusammen mit
Sanny und Lee. Komm ich zeige es dir.“
Mai ließ sich
von ihm führen. Sie war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt.
Als sie die
Drachenprinzessin sah, wie sie mit Sanny auf dem Felsboden saß,
rannte sie los.
„ Cassy,
Cassy. Wie ist das Ende? Sag mir, wie es ausgeht. Gut, oder? Bitte
sag, dass es gut ausgeht. So ist es doch, oder nicht?“, fragte
sie überstürzt und schüttelte sie leicht.
„ Von
welchem Ende sprichst du?“, fragte sie lieblich und lächelte,
als würde Mai ein Spiel mit ihr spielen.
„ Das
Lied. Die letzte Strophe. Du weißt schon, das mit den Drachen
und Sonnen. Du kennst es.“, versuchte Mai sich zu beherrschen.
Alessio nahm neben Lee platz und betrachtete sie, als würde er
an ihrem Verstand zweifeln.
„ Oh
ja, ich kenne es. Ist es nicht schön?“, fragte Cassy.
„ Ja,
aber bitte. Ich muss die letzte Strophe wissen.“, flüsterte
Mai. Sie wünschen sich, inständig einen Hoffnungsstrahl. Es
musste einen Hinweis auf Kates Vorhaben geben, doch vor allem wollte
sie, dass alles gut ausgehen würde.
„ Die
Letzte mag ich am liebsten.“, bemerkte Cassy unnötiger
Weise.
Doch hört gut
her die Rettung naht
Aus fernem Land ein
helles Licht
Ein Mädchen
dass die Kräfte wart
Die Kette der Zeit
endlich bricht
Zieht los in tiefer
Dunkelheit
Allein die Reise auf
sich nimmt
Zu Kämpfen
macht sie sich bereit
Vom Licht ist ihr
der Sieg bestimmt
Mit Macht stürzt
sie den Himmel ein
zu zerstören
das böse Blut
er nimmt
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