Das Herz der Drachen (Eiswandlerin) (German Edition)
fand, damit sie ihm
Schmerzen zufügen konnte. Ja, sie wollte ihn umbringen, damit er
nie wieder Jemandem schaden konnte. Sie wollte ihn töten,
qualvoll. So wie er es ihr gedroht hatte. Sie wusste genau, dass sie
es schaffen würde und dieser Gedanke machte ihr Angst. Angst vor
sich selbst. Diese Angst war erschreckender, als alles, was sie je
gefühlt hatte und dafür hasste sie sich noch mehr.
Es war nicht Pablo,
der plötzlich vor ihr stand und in die Hocke ging, um ihr besser
ins Gesicht sehen zu können.
Kates Herz wurde
schwer, wie Stein. Sie schämte sich für das, was sie getan
hatte. Das, was passiert war und dafür, dass sie hier alleine
saß, in zerrissener, dreckiger Kleidung und weinte.
Vom Schnee bedeckt
und zitternd, ob vor Angst oder Wut konnte sie nicht mehr sagen.
Vielleicht war es beides oder nichts. Ja, sie schämte sich, und
wie. Sie wünschte sich sogar, er wäre nicht gekommen, hätte
sie nicht gefunden, hätte sie nie so gesehen. Elend. Wäre
es nicht einfacher gewesen zu erfrieren, zu sterben. Jetzt und hier,
lautlos. Sie sah ihn nicht an, sondern starrte weiter auf ihre
weißen, zerkratzten Hände. Sie hatte nicht mitbekommen,
wie Pablo sich mit seinen Nägeln in ihre Haut gekrallt hatte.
Man bekam Vieles nicht mit. Der Schmerz war so groß, dass
Kleinigkeiten ausgeblendet wurden.
Warum sagte er
nichts? Er saß nur da und betrachtete sie stumm. Es machte Kate
unsicher. Wahrscheinlich ekelte er sich vor ihr, ebenso wie sie sich
vor sich selbst ekelte. Er wollte ihr nicht zu nahe kommen, aus
Angst, schloss sie. Doch wovor hatte er wirklich Angst? Wäre er
nicht schon längst davongelaufen, wenn er sie verachten würde?
Was hielt ihn davon ab zu reden?
Irgendwann wurde
Kate klar, dass er wartete. Er wartete auf ein Zeichen von ihr. Sie
könnte aufstehen, sich wegdrehen oder ihn anschreien. Sie war
sich sicher, dass er dann gehen würde und sie könnte in
Ruhe weiter sterben. Sterben! Das klang nach einem guten Plan. Sie
würde die Augen schließen und einfach vergessen zu atmen.
Der Tod war der einfachste Weg.
Am Liebsten wäre
sie einfach aufgestanden und gegangen. Weglaufen half nicht ewig,
aber für den Moment reichte es. Leider hatte sie keine Kraft
mehr und das war das Einzige, was sie in diesem Augenblick
zurückhielt. Der Schnee lastete schwer auf ihren Beinen, so dass
es ihr unmöglich erschien jemals wieder aufzustehen. Ihre Kehle
war trocken und wenn sie versucht hätte zu sprechen, hätte
es sie ihr sicher ganz zugeschnürt.
Vorsichtig hob sie
den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. Diese hellen, blauen Augen.
So strahlend wie der Himmel, wenn die Sonne Naos am Horizont stand.
Sie suchte nach dem Hass, der Abscheu und dem Mitleid in ihnen, aber
sie konnte nichts davon in Alessios Augen entdecken. Das Einzige, was
sie sah, war Traurigkeit und genau der selbe Schmerz, den auch sie
bis in jeden Winkel ihres Körpers spürte.
Er wischte ihren
Wunsch, auf der Stelle vom Leben Abschied zu nehmen, fort.
Mit zittrigen
Fingern schob sie den Schnee von ihren Beinen und ergriff die Hand,
die er ihr leicht entgegenstreckte. Dann kniete sie sich unbeholfen
vor ihn und drückte ihr Gesicht an seine Schulter. Langsam legte
er die Arme um sie und wartete, während sie ein letztes Mal
weinte.
Es tat gut, ihn bei
sich zu haben. Er gab ihr neuen Mut und Kate hatte das Gefühl,
er könnte sie vor allem Bösen auf der Welt bewahren. Sie
sog seinen Duft ein und lehnte sich mit dem Rücken an seine
warme Brust. Ihre Atmung wurde gleichmäßiger und sie hatte
das Gefühl wieder sprechen zu können.
„ Ich gehe
nicht dorthin zurück.“, flüsterte sie stockend, wobei
sie weder sagen konnte, wie viel Alessio wusste, noch ob er sie
verstand, wenn sie so leise sprach.
„ Ich weiß.“,
hauchte er ihr ins Ohr. „Das musst du auch nicht.“
„ Es tut mir
leid.“, murmelte sie, aber Alessio schüttelte den Kopf.
„ Sag so etwas
nicht. Du kannst nichts dafür. Ich wäre nie auf die Idee
gekommen, dass...“, er brach ab.
„ Ich weiß
nicht mal, ob du überhaupt darüber reden willst.“,
gab er zu. Kate schwieg eine Weile und erzählte ihm dann die
ganze Geschichte. Wie sie sich gefühlt hatte ließ sie aus,
ebenso ihren Wunsch zu sterben. Damit hätte sie ihn nur
beunruhigt. Er hörte aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen.
„ Wie hast du
mich eigentlich gefunden, wo ich doch selber nicht weiß, wo ich
bin?“, fragte Kate am Ende.
„ Das ist eine
lange Geschichte. Ich erzähle sie
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