Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
angerufen«, sagte Sara. »Wir haben es erst einmal verschoben.«
»Das ist vermutlich gut so«, nickte Grace. »Zumindest für heute Abend.«
Daniel Brownley, Claudias Ehemann, ein Architekt, hatte ihr neues Haus Névé genannt. Er liebte schneebedeckte Berge fast ebenso sehr wie das Meer und hatte inmitten der Entwürfe der steil aufsteigenden Linien aus Solarglas und weißem Stahl an jenes klangvolle Wort gedacht, das den Schnee auf dem Gipfel eines Gletschers beschrieb. Niemand hatte es ihm ausreden können.
Névés Schönheit war ein bisschen spröde für den persönlichen Geschmack seiner Frau, aber Daniel war ausschließlich ihr zuliebe nach Florida zurückgekehrt, und Claudia hätte auch in einer Hütte leben können, wenn es Dan glücklich machte.
Névé war gewiss keine Hütte, aber es war ungewöhnlich. Das Haus, mit Blick aufs Meer, lag im Dorf Key Biscayne, und Daniel hatte die Baumaterialien so ausgewählt, dass sie sich an das wechselhafte Wetter stets anpassten – keine leichte Aufgabe in Südflorida. Wenn es sonnig und heiß war, verdunkelten sich die riesigen Smartglas-Flächen und kühlten das Haus auf eine angenehme Temperatur ab; wenn sich Sturm- und Gewitterwolken über der Biscayne Bay zusammenbrauten, spiegelte sich ihr dramatisches Szenario in den Wandverkleidungen.
Grace gefiel das Haus bei jedem Besuch besser. Genau wie Claudia waren auch ihr die offenen Räume mit den hohen Decken und weiß gefliesten Böden anfangs etwas beängstigend erschienen – ganz zu schweigen von der hochmodernen Alarmanlage mit einer Sirene, die laut genug war, um alle Toten von Miami zu wecken. Doch mit der Zeit hatte sich ihre Meinung gemäßigt, und jedes Mal, wenn sie auf eine der Terrassen trat, die Daniel auf beiden Ebenen des Hauses angelegt hatte, wurde ihr bewusst, dass ihr Schwager es irgendwie geschafft hatte, ein Umfeld zu schaffen, das im völligen Einklang mit der Insel stand.
Heute hatte Claudia, entzückt über ihren unerwarteten Besuch, ein schnelles Mittagessen aus Krabbenpuffern und Salat zubereitet, das sie in einer der erstaunlichen, behaglichen Sitznischen einnahmen. Einige der Nischen waren groß genug für die ganze Familie, andere für ein oder zwei Personen entworfen, und alle auf der Meerseite des Hauses gelegen. Jetzt saßen sie in einer gemütlichen Ecke mit einem eleganten Biokamin, vor dem man sich im nächsten Winter herrlich würde entspannen können.
»Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen«, gestand Grace.
»Warum denn bloß?«, fragte Claudia.
»Ich habe diese Woche Patienten abgewiesen, um die Hochzeit organisieren zu können, und jetzt kümmert sich Mildred um Joshua, und ich sitze hier und lasse es mir gut gehen.«
»Eine Seelenklempnerin sollte eigentlich wissen, dass man sich schlichte Vergnügungen nicht durch Schuldgefühle verderben sollte.«
»Schon verstanden«, schmunzelte Grace.
Sie sah durch die Glaswand auf die regennasse Terrasse und die Veranda aus glattem brasilianischem Hartholz, vorbei an dem Swimmingpool und auf die Pforte in dem alarmgesicherten weißen Zaun, die zu dem öffentlichen, sandigen, mit Palmen bepflanzten Grasland, dem Strand und der Bucht dahinter führte, und sie hatte fast das Gefühl, wieder auf Islamorada auf den Keys zu sein, wo Claudia so glücklich gewesen war, bevor sie Daniels Arbeit wegen nach Seattle zogen und solch schwierige persönliche Zeiten vor ihnen lagen.
Jetzt sah Grace ihre Schwester an, und sie dachte, wie friedlich sie aussah mit ihren lebendigen dunklen Augen und einem Gefühl von Zufriedenheit, das fast greifbar war.
Fast ansteckend.
Die Ruhe blieb Grace fast auf der ganzen Fahrt nach Hause erhalten.
Bis sie bei La Tienda Fiesta anhielt, einem Partygeschäft in Little Havana, bei dem sie eine große Bestellung für die Hochzeit aufgegeben hatte. Sie hatte gehofft, die für Mittwoch vorgesehene Lieferung noch einmal mit Luis, dem Geschäftsführer, durchgehen zu können, aber in dem Laden war die Hölle los, und er schien von einer Frau völlig in Beschlag genommen zu sein, die entschlossen ein Klemmbrett schwenkte. Als er Grace entdeckte, reckte Luis zwar seinen Daumen in die Luft, was ihr, nahm sie an, als Zusicherung ausreichen sollte, aber wo sie schon einmal hier war, konnte sie sich auch gleich noch nach ein paar Party-Extras für die Veranda umsehen.
Ein schönes, ledergebundenes Gästebuch sprang ihr ins Auge, vielleicht als Erinnerungsstück für Mildred und David.
Sie bückte sich, um es in
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