Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
haben.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben«, erwiderte Sam, »ich denke, es wird uns schwerfallen, nicht nett zu Ihnen zu sein.«
Anne Dover lächelte matt. »Tun Sie einfach Ihr Bestes.«
»Das werden wir, Ma’am«, nickte Martinez.
Sie wollten sie zu ihrem Hotel in der Innenstadt bringen, aber sie wollte lieber sofort mit ihnen reden, daher gingen sie ins Starbucks im Terminal, und sie erklärte ihnen ohne Vorrede den Grund ihrer Scham.
»Für unsere Eltern war es ein schwerer Schlag, zu erfahren, dass Andy schwul war«, sagte Anne. »Ich weiß, dass er immer hoffte, das würde sich mit der Zeit ändern, aber dazu kam es nie. Unser Vater war wütend darüber – als wäre es etwas, was Andy hätte ablegen können, wie seine Kleider –, aber unsere Mutter schien es gesellschaftlich untragbar zu finden, was mir immer weitaus schlimmer erschien.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich selbst war schlimmer als sie beide.«
Sam und Martinez warteten, während Anne Dover ihren Kaffee umrührte, aber sie schwieg, in einer anderen Welt versunken.
»Was haben Sie denn getan?«, fragte Sam schließlich.
»Nichts«, gestand sie. »Gar nichts.«
»Gail, die Bekannte Ihres Bruders, sagt, Sie hätten die Verbindung zu ihm aufrechterhalten. Sie sagt, das hätte Andrew viel bedeutet.«
»Das ist nett von ihr.«
»Ich würde sagen, sie hat es durchaus ernst gemeint.«
»Dann ist es mehr, als ich verdient habe.« Anne Dover holte einmal tief Luft. »Nun, meine Herren, dann sagen Sie mir, was kann ich jetzt noch für meinen Bruder tun? Wenn alles zu spät ist. Ich nehme an, Sie wissen nicht, wer ihm das angetan hat?«
Sam beugte sich über den Tisch vor. »Wie viel hat er Ihnen über sein Leben erzählt?«
»Nicht viel. Aber ich habe seine Briefe mitgebracht, für den Fall, dass vielleicht irgendwo etwas steht, was Ihnen weiterhelfen könnte.« Sie griff nach unten und klopfte auf ihren schwarzen Rollkoffer. »Ich dachte, ich würde sie mir auf dem Flug vielleicht ansehen, aber ich musste feststellen, dass ich das nicht konnte.«
»Dafür ist immer noch Zeit«, sagte Sam.
»Ich glaube auch nicht, dass darin irgendetwas steht«, fuhr sie fort. »Ich kann mich nicht erinnern, dass er mir je erzählt hat, dass irgendetwas Schlimmes passiert war – außer damals, als er von der Bank gefeuert wurde. Wussten Sie davon?«
»Ja«, nickte Martinez.
»Das hat Andy so mitgenommen«, erinnerte sich seine Schwester. »Aber er hat die Schuld niemandem außer sich selbst gegeben. Er war nie nachtragend.«
»Haben Sie sich oft gesprochen?«, fragte Sam.
»Ich habe ihn vielleicht einmal im Monat angerufen. Andy freute sich immer, von meinen Kindern zu hören – zwei Jungen und einem Mädchen –, von dem Zuhause meines Mannes, wie wir uns um sie kümmerten.«
»Ihr Bruder hatte ein Foto von Ihnen allen in seinem Zimmer.«
Sie nickte. »Ich nehme an, Sie haben seine ganzen Sachen bereits durchgesehen.«
»Wir hatten leider keine andere Wahl«, sagte Martinez.
»Ich weiß.« Anne Dover sah traurig aus. »Ich glaube nur, Andy hätte das gehasst.«
Sie hatte ihnen nichts Brauchbares mitzuteilen, aber sie versprach, sich Tag und Nacht zur Verfügung zu halten, solange sie in Miami war. Ihre Eltern, berichtete sie, hätten nicht vor, herzufliegen, und sie würde Vorkehrungen treffen, um ihren Bruder nach Hause zu überführen, sobald die Formalitäten es zuließen.
Sie lehnte ihr Angebot ab, sie in die Stadt mitzunehmen, entschuldigte sich dafür, dass sie bislang offenbar keine große Hilfe war, und bat die beiden, sie über die Ermittlungen auf dem Laufenden zu halten.
»In Sack und Asche zu gehen ist eben nicht jedermanns Art«, bemerkte Sam, als sie zurück zum Wagen gingen.
»Meinst du?« Martinez verdrehte die Augen.
»Aber ich nehme an, ihr Schmerz ist echt.«
»Echter Schmerz«, murmelte Martinez.
30
Um kurz nach halb neun war die Luft noch immer mild, als Sams alter Saab durch Névés stählernes Sicherheitstor tuckerte und die Auffahrt in Licht erstrahlte.
Grace’ Toyota und Cathys Mazda – doch nicht Sauls Dodge-Pick-up – standen neben den anderen Familienautos, und die Haustür ging bereits auf, und Mike, Grace’ älterer Neffe – ein athletischer, gut aussehender Siebzehnjähriger –, tauchte mit einem einladenden Lächeln auf.
Sie waren eine warmherzige, natürliche, lockere Familie, und doch war ihre Haustür aus massivem Stahl, verborgen hinter einer schneeweißen Fassade mit biometrischem
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