Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
darauf folgendem Fieber hatte sie seinerzeit selbst innerhalb weniger Tage zur Witwe gemacht. So paradiesisch sich die Landschaft auch zeigte, so lauerten doch unter jedem Baum, jedem Strauch Gefahren: giftige Schlangen oder gefährliche Insekten. Dazu kamen Unwetter und Erdrutsche und tückische Fieberkrankheiten; hier draußen war das Leben voller Unwägbarkeiten.
»Wir wissen ja nun doch recht wenig über sie«, ließ sie sich dann zögerlich vernehmen und strich sich die Kebaya glatt.
James steckte die Hände in die Hosentaschen und tappte mit dem nackten Fußballen auf den Steinboden. »Du und Vater – ihr habt Dees und mich gelehrt, dass es nicht eine Sammlung möglichst vieler Fakten braucht, um einen Menschen zu kennen. Und dass Charakter wichtiger ist als der Stammbaum.« Wie James seine Schwester noch immer bei ihrem Kosenamen aus Kindertagen nannte, ließ Marlies van Hassel schmunzeln.
»Das ist wahr«, erwiderte sie sanft.
Draußen auf dem Rasen zupfte Floortje den Hund abwechselnd an den Ohren und an seiner Rute und schüttete sich aus vor Lachen, wie er im Kreis herumwirbelte und mit vergnügtem Kläffen nach ihrer Hand zu schnappen versuchte, um sich gleich darauf grunzend auf den Rücken zu wälzen und ihr den Bauch zum Kraulen entgegenzustrecken.
Unwillkürlich huschte ein kleines Lächeln über das Gesicht von Frau van Hassel.
»Ja, ich mag sie«, sagte sie schließlich. »Ich wünschte nur, sie wäre etwas älter. Etwas robuster.«
Wie auf Geheiß gab der Kakadu ein durchdringendes Kreischen von sich.
James schwieg einige Herzschläge lang.
»Floortje …«, begann er langsam. Er zog eine Hand hervor und machte eine Geste in den Garten hinaus. »Floortje ist einfach alles, was ich mir immer von meiner Frau erträumt habe.«
Marlies van Hassel verstand sehr gut, was ihr Sohn in Floortje Dreessen sah. Klein und zierlich war sie wie die einheimischen Frauen, deren Aussehen für nicht wenige Männer, die hier lebten, über die Zeit zum Maßstab weiblicher Schönheit geworden war. Obendrein war ihr Haar dunkel und nicht von dem holländischen Blond, das nur noch wenige Niederländer auf Java wirklich reizvoll fanden, und trotzdem sah sie mit ihren hellen Augen und ihrer hellen Haut durch und durch europäisch aus. Floortje Dreessen besaß die Leichtigkeit und die Lebenslust, die ihrem ernsthaften Sohn fehlten, der immer vernünftig und willensstark gewesen war. Der so früh hatte reifen müssen und der dazu noch das schwermütige, zuweilen aufbrausende Wesen der van Hassels geerbt hatte. Wo Floortje auch ging, stand und saß, verschlang James sie mit Blicken, und oft hatten Frau van Hassel die erhitzten Gesichter und glänzenden Augen der beiden verraten, dass sie sich heimlich irgendwo im Garten oder in einem stillen Winkel des Hauses geküsst hatten. Sie kannte ihren Sohn zu gut, um fürchten zu müssen, dass er sich zu mehr hatte hinreißen lassen, aber sie erriet auch, wie viel Selbstbeherrschung ihm das abverlangte. Dennoch wuchs mit jedem Tag ihre Sorge, es könnte sich unter den benachbarten Plantagen herumsprechen, dass die van Hassels nun schon seit fast drei Wochen eine junge, unverheiratete Frau unter ihrem Dach beherbergten, die nicht mit ihnen verwandt war; das könnte auf Dauer ein schlechtes Licht auf die Familie werfen.
Sanft legte sie ihrem Sohn die Hand auf den Rücken. »Du hast meinen Segen. Von ganzem Herzen.«
»Danke, Mutter.« Er nahm ihre andere Hand und drückte einen Kuss darauf. »Wünsch mir Glück.«
Die Hände auf die breiten Hüften gestützt, sah sie ihm nach, wie er über die Veranda in den Garten ging, wo Dixie mit freudigem Gebell auf ihn zustob, jaulend an ihm hochsprang und nicht eher Ruhe gab, bis er ihn ausgiebig gekrault hatte und dann Floortje Dreessen begrüßte, die aufgestanden war und sich lachend ihren Rock zurechtschüttelte.
Marlies van Hassel unterdrückte ein Seufzen. Man konnte auch zu wählerisch sein, gerade in dieser Zeit, in der es sich als derart schwierig erwies, anständige junge Frauen als Ehefrauen nach Java zu bekommen. Womöglich würde es sich sogar als Segen herausstellen, dass Fräulein Floortje noch so jung war; in diesem Alter war ein Mensch noch formbar, und das könnte es ihr gewiss erleichtern, ihre Schwiegertochter anzuleiten und zu einer tüchtigen Pflanzergattin zu machen.
Voller Stolz ruhte der Blick von Frau van Hassel auf dem breiten Rücken ihres großen, gutaussehenden Sohnes. Es war allerhöchste Zeit, dass
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