Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
die Zähne zusammen, um sich nicht zu übergeben.
Sie braucht kein Chloroform. Nein, auch das nicht. Sie soll ruhig mitbekommen, was sie da angerichtet hat. Tante Cokkie, deren rissige Fingernägel sich in ihre Handgelenke bohrten, während sie sie festhielt. Eine zweite Frau, die sich vor Floortjes festgeschnallte Beine hinkniete und metallene Instrumente in sie hineintrieb, die sie von innen her aufrissen und zerfetzten und einen Blutstrom hervorschießen ließen. Blut, so viel Blut. Floortjes Muskeln spannten sich bis zum Zerreißen an, während sie sich wand und trat und um sich schlug und sich doch kaum rühren konnte, und ihr Schädel explodierte unter den Schreien, die niemand hörte. Die das zusammengeknüllte Taschentuch in ihrem Mund verschluckte, damit die anderen Bewohner des Hauses nicht mitbekamen, was im Hinterzimmer ihrer Nachbarin vor sich ging.
Blut, so viel Blut. Rote und schwarze Nebelschlieren, die vor ihren Augen tanzten. Mama. Regenbogenfarbene, glitzernde Funken hohl pulsierenden Schmerzes. Papa. Ein Feuer, das sich lodernd durch sie hindurchfraß. Mama . Floortje lächelte schwach und streckte die Hand nach ihrer Mutter aus, die neben ihrem Bett stand. Ich komme, Mama. Wart auf mich. Ich komme. Eine sonore Stimme, die beruhigend auf sie einredete; kühle, kräftige Hände, die ihr eine bittere Flüssigkeit einflößten und sich an Stellen ihres Körpers vortasteten, die nicht mehr zu ihr zu gehören schienen.
… wird durchkommen … aber nie wieder Kinder …
Die Matratze, die unter ihr wippte und Übelkeit hervorrief, als sich jemand auf der Bettkante niederließ. Die zischelnde Stimme von Tante Cokkie. Hast du’s gehört? Wird auch besser sein, wenn so eine wie du sich nicht mehr schwängern lassen kann. Hast dir alles selbst zuzuschreiben, lass es dir künftig eine Lehre sein! Eine Tür, die aufging und Licht hereinschickte, den Lichtkeil aber wieder abschnitt, als sie hinter Tante Cokkie zuklappte.
Ein Kind … Floortje hätte so gerne ein Kind gehabt, um das sie sich kümmern könnte. Das alles an Liebe bekommen hätte, was sie hätte zusammenkratzen können – so viel mehr Liebe, als Floortje selbst vergönnt gewesen war. Sie hätte so gerne ein Kind gehabt. Irgendwann.
Floortje weinte, bis keine Tränen mehr kamen.
Dann gab es nur noch Dunkelheit. Finster und beängstigend, mit ihren bedrohlichen Schatten, die man nicht sah. Nur spürte.
»Du hättest es mir sagen müssen«, flüsterte James.
Floortje nickte. Ja, das hätte sie tun müssen. Einmal war sie auch kurz davor gewesen, in jener Nacht, nachdem sie des Königs Geburtstag gefeiert hatten. Bevor James sie das erste Mal geküsst hatte. Doch darüber zu sprechen war so schwer gewesen, vielleicht sogar unmöglich nach fünf langen Jahren, in denen sie mit aller Kraft versucht hatte zu vergessen; es zu verschweigen war dennoch unverzeihlich, das sah sie ein.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. Erleichterung durchströmte sie, als die dunkle Flut langsam zurückwich und sie wieder freier atmen konnte. Sonst empfand sie nichts. Gar nichts.
»Du packst auf der Stelle deine Sachen. Tika wird dir helfen, und Galang bringt dich nachher nach Buitenzorg.«
»Jetzt?« Floortjes Kopf ruckte hoch. »Es ist mitten in der Nacht! Kann ich nicht bis morgen …«
Sein Blick ließ sie verstummen, als er wortlos die Tür öffnete. Sie hatte kein Recht darauf, Bedingungen zu stellen oder auch nur Bitten hervorzubringen; auch das verstand sie.
Langsam erhob sie sich und zog sich den Schal über ihren Schultern zurecht, der herabgerutscht war. Ein Fünkchen Hoffnung flackerte in ihr auf, als er ihr die flache Hand entgegenstreckte. Die Hoffnung, dass er ihr vielleicht verzieh. Dass dies vielleicht doch noch nicht das Ende war.
Mit einem unsicheren Lächeln wollte sie seine Hand ergreifen, doch er zog sie schnell zurück, hielt sie ihr erst wieder hin, als sie den Arm sinken ließ. »Die Ohrringe.«
Floortje nickte, löste sie von den Ohrläppchen und legte sie sorgsam in seine Handfläche. Sehnsucht nagte an ihr, als sie dabei aus Versehen mit der Fingerkuppe seinen Daumenballen streifte, und es tat ihr weh, wie er vor ihrer Berührung zurückzuckte.
»Ich hoffe«, sagte er heiser, »du besitzt wenigstens so viel Anstand, Edu den Schmuck zurückzugeben, den er dir geschenkt hat.«
Erstaunt sah sie ihn an. »Aber er hat vorhin erst gesagt, ich kann ihn behalten!«
Nachsichtig, beinahe mitleidig erwiderte er ihren Blick, dieser
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