Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Schiffskabine mit jemandem teilen zu müssen, weil es billiger war.
Die Unruhe in Floortjes Gliedern wurde zu einem quälenden Brennen, und die Dunkelheit, die sie umfing, bekam etwas Beklemmendes. Ihr Herzschlag galoppierte an und stolperte schließlich in einen hastigen, verkrampften Takt hinein, der ihr in der Brust wehtat und das Atmen erschwerte. Die Nacht ängstigte sie. Nicht auf dieselbe Art, wie sie sich als kleines Mädchen gefürchtet hatte, vor Ungeheuern und Schauergestalten, die des Nachts ihr Unwesen trieben. Es war die stille Schwärze, die sie mehr als alles andere fürchtete. Die Finsternis mit ihren Schatten, die man nicht sah, nur spürte. Die Dunkelheit, die Bilder heraufbeschwor, Stimmen und Gerüche. Die an alten Wunden rührte und kein Vergessen erlaubte.
Floortje rollte sich zusammen und umschlang ihr Kopfkissen, presste es vor die Brust und vergrub ihr Gesicht darin. Sie würde vergessen können, irgendwann. Irgendwann würde die Vergangenheit keine Macht mehr über sie haben, irgendwann vielleicht sogar die Nacht ihre Schrecken verlieren.
Das Lämpchen über der Koje verbreitete nur einen schwachen Lichtschein und ließ den größten Teil der Kabine, die Jacobina für sich allein hatte, im Dunkeln. In ihrem weiten, langärmeligen Nachthemd, das Haar zu einem strammen Zopf geflochten und den Kopf in eine Hand gestützt, hatte sie sich der Wand zugedreht. Eine kleine Nische in der Holzverschalung barg das Glas mit dem Blumensträußchen, und die schmale Leiste auf halber Höhe sicherte es dagegen ab umzukippen, sollte der Seegang stärker werden als das gemütliche Schaukeln, das den Wasserspiegel im Glas träge hin und her schwappen ließ. Das schummrige Licht saugte alle Farbe aus den Blütenblättern und ließ sie wächsern aussehen; für Jacobina schienen sie dennoch aus sich heraus zu leuchten, und hin und wieder konnte sie einen zarten Duft erschnuppern.
Schon lange hatte sie nichts mehr geschenkt bekommen, das ihr so viel bedeutet hatte. Es war nicht dasselbe wie Blumen von einem Kavalier verehrt zu bekommen, aber dass Floortje ihr Sehnen danach erspürt und diese Aufmerksamkeit von Herrn Aarens mit ihr geteilt hatte, machte das mehr als wett. Von klein auf zu Selbstlosigkeit angehalten, aber im Gefühl verhaftet, stets zu kurz zu kommen, bezweifelte Jacobina, dass sie an Floortjes Stelle ebenso gehandelt hätte. Jedes Mal, wenn sie daran dachte, schämte sie sich ein klein wenig. Vor allem aber wurde ihr immer aufs Neue warm ums Herz.
Jacobina atmete schwer aus und drehte sich auf den Rücken. Sie wünschte nur, sie könnte sicher sein, dass Floortjes Freundlichkeit aufrichtig war und kein Mitleid oder gar Arglist dahintersteckte. Wie bei Tine damals. Den Unterarm über die Stirn gelegt, als müsste sie sich vor einem Schlag schützen, blickte sie starr an die Decke hinauf.
Nur widerwillig hatte sie an jenem Nachmittag ihre Mutter zum Kaffeekränzchen bei den de Haans begleitet. Seitdem sich Betje, Johanna, Jette und Henny von ihr, der alten Jungfer, die nicht mitreden konnte, wenn es um Ehe und Kinder ging, abgewandt hatten, war Jacobina noch weniger danach zumute gewesen als zuvor. Es war Tines Verdienst gewesen, dass jene Stunden im Salon an der Prinsengracht für Jacobina unerwartet kurzweilig gerieten, Tine Westerveldt mit ihrem blonden Seidenhaar und einem Teint und einer Statur wie eine Meißener Figurine. Mit ihren Augen, so blau wie das Dekor des Delfter Porzellans im Hause van der Beek, die mit funkelnder Neugierde auf Jacobina gerichtet waren, während Tine lächelte und plauderte und Jacobina nach und nach ein bisschen etwas über sich zu entlocken verstand. Sie lasen die gleichen Bücher, mochten beide Schubert und Beethoven und konnten über dieselben Dinge lachen. Wie ein frischer Lufthauch war Tine zwischen den Samtportieren und den dicken Teppichen gewesen, in denen der Geruch nach behäbigem Reichtum hing, als wäre der Duft von Kaffee und Kakao, mit denen die de Haans handelten, nach und nach hineingesickert und mit der Zeit erst ranzig, dann staubig geworden. Bertha van der Beek, erleichtert, dass ihre einsiedlerisch gewordene Tochter sich wieder ein wenig aus ihrem Schneckenhaus hervorwagte, hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass die beiden zum Abschied Adressen austauschten und sich schrieben und Tine schließlich des Öfteren in der Nieuwe Herengracht zu Gast war. Jacobina blühte auf in jenem Sommer, glücklich, in Tine eine solch gleichgesinnte
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