Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
mit den Augen rollte und Jacobina die Zunge zeigte. Ihre Mundwinkel krümmten sich aufwärts, und sie lehnte sich etwas zurück, weiter aus dem Blickfeld ihrer Tischnachbarn hinaus. Den herausfordernden Blick des Jungen erwiderte sie unverändert fest, während sie ihre Augäpfel in Richtung Nasenwurzel wandern ließ, bis sie alles doppelt und verschwommen sah. Auch Joost. Dessen Finger erschlafften, sein Kinn sackte herab; aus aufgerissenen Augen starrte er Jacobina an, einen Augenblick lang unschlüssig, ob er lieber losheulen oder schreiend davonlaufen sollte. Dann perlte ein Kichern aus seiner Kehle herauf, kollerte schließlich in einem unbändigen Lachen aus seinem Mund, bis er sich auf seinem Stuhl krümmte und wand und nach Luft schnappte.
»… wir müssen auf jeden Fall – herrje, was ist denn nun schon wieder?!« Mit zusammengezogenen Brauen sah Frau Verbrugge zu ihrem Sohn und seufzte. »Entschuldigen Sie mich kurz, ich muss die Kinder zu Bett bringen. Sonst schlafen sie um diese Zeit schon längst.« Sie stand auf, nahm die in ihrem Stuhl eingeschlummerte Tressje auf den Arm und Joost bei der Hand. Nur widerwillig ließ sich der Junge von seiner Mutter fortführen, während er Jacobina weiterhin mit einem hingerissenen Lächeln bedachte, die sich ihrerseits mit gesenkten Lidern wieder ihrer Mandarine widmete, ein fremdes, vergnügtes Zucken irgendwo in der Magengegend.
Floortje starrte in das nächtliche Dunkel der Kabine. Weder das sanfte Schaukeln des Schiffs noch das monotone Brummen der emsig stampfenden Maschinen vermochte sie in den Schlaf zu wiegen. Auch nicht die schweren Atemzüge aus der Koje gegenüber, die in kehlige Schnarchlaute ausliefen; zu ungestüm sprang ihr das Herz in der Brust umher, und immer wieder zuckte ein Lächeln über ihr Gesicht. Noch während der Überfahrt die ersten Einladungen von respektablen Familien einzuheimsen war mehr, als Floortje sich in ihren kühnen Träumen von einem neuen Leben ausgemalt hatte. Mit den Beziehungen zu den Ter Steeges und den Rosendaals würde sie in Batavia schon bei ihrer Ankunft einen Fuß in der Tür haben und darüber schnell weitere Bekanntschaften schließen. Vielleicht auch über Jacobina und die gut situierte Offiziersfamilie , zu der diese unterwegs war …
Das Lächeln weitete sich zu einem Strahlen aus, als Floortje an Jacobina dachte. Der Grund für deren plötzliche Flucht heute Nachmittag an Deck war leicht zu erraten gewesen; Floortje hatte den Hunger in ihren Augen gesehen. Diesen gewaltigen, unstillbaren Hunger nach Hinwendung und Zuneigung, den sie selbst nur allzu gut kannte. Und den Kummer, der daraus erwächst, wenn jemand anders bevorzugt wird, und der so schwer von gewöhnlicher Missgunst zu unterscheiden ist. Jacobinas Miene war in Ablehnung erstarrt geblieben, als sie ihr die Blumen entgegengestreckt hatte, aber das Leuchten in ihren Augen hatte sie verraten und Floortje ein beinahe kindliches Glücksgefühl beschert.
In ihrem Bauch kribbelte es; eine euphorische Unrast, die bis in die Zehen hinunterreichte. Die Lust, ihrer Freude freien Lauf zu lassen, durch die Kabine zu tanzen und aus voller Kehle zu singen, war übermächtig und ruhig liegenzubleiben eine Qual. Fräulein Lambrechts, die jüngere Schwester von Frau Rosendaal, hatte jedoch einen leichten Schlaf und machte ohnehin keinen Hehl daraus, wie störend sie Floortjes Anwesenheit in der Kabine empfand, die sie sich während der Überfahrt teilen mussten. Floortje war zu schlau, als dass sie die wie beiläufig fallengelassenen Sticheleien mit gleicher Münze heimzahlte; sie wollte es sich mit den Rosendaals nicht verderben, dafür stand zu viel auf dem Spiel. Achselzuckend ließ sie die scharfen Bemerkungen, wie ungebührlich viel Zeit sie doch vor dem Spiegel und am Waschtisch verbrachte und welch unschicklichen Aufwand sie mit ihrem Äußeren betrieb, an sich abperlen und genoss insgeheim die bohrenden Blicke, mit denen Fräulein Lambrechts Floortjes zarte, mit Rüschen und Spitzen besetzte Leibwäsche und ihre leichten Kleider in frischen Farben musterte. Und da Fräulein Lambrechts bei Lampenschein nicht schlafen konnte und nur allzu bereit war, eine Klage über Fräulein Dreessens Rücksichtslosigkeit anzustimmen, trödelte Floortje abends vor dem Schlafengehen nur so lange herum, wie es ihr gerade noch angeraten schien, bevor sie unter das Leintuch ihrer Koje schlüpfte, das Licht löschte und mit offenen Augen davon träumte, niemals mehr eine
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