Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Floortje leise vernehmen, »kann sie ihr neues Haus bestimmt komplett mit diesen Dingern auslegen.«
Jacobina sah über die Schulter hinweg verstohlen zu Frau Verbrugge hinüber, die unter dem Schattendach emsig an einem weiteren Spitzendeckchen häkelte; sofern Jacobina richtig mitgezählt hatte, das achte seit Beginn der Reise vor zweieinhalb Wochen. Die Augen auf ihre Handarbeit geheftet, lauschte sie den Empfehlungen und Ratschlägen, die Frau Ter Steege ihr in epischer Breite angedeihen ließ, und nickte dann und wann verstehend. Die plumpen Hände vor dem Bauch gefaltet und den Kopf in den Nacken gelegt, war Frau Junghuhn auf dem Platz neben ihrer Tochter eingedöst; Frau Rosendaal las, und Fräulein Lambrechts starrte mit sauertöpfischer Miene Löcher in die Luft. Die sanften, mädchenhaften Züge kalkig unterlegt und bläuliche Schatten unter den Augen, leistete ihnen Frau Teuniszen seltene Gesellschaft; ihre noch kaum sichtbaren anderen Umstände vertrugen sich nicht mit dem Seegang und ließen sie die längste Zeit in ihrer Kabine verharren.
Jacobina wandte sich wieder um, und auch Floortje beugte sich erneut über das Buch in ihrem Schoß, das sie aus dem hochtrabend »Schiffsbibliothek« genannten, mit zerlesenen und von Feuchtigkeit aufgequollenen Bänden vollgestopften Wandschrank gezogen hatte. Einen Fuß zum halben Schneidersitz unter sich gezogen, blätterte sie lustlos mit einer Hand zwischen den welligen Seiten herum, während sie eine Haarsträhne um den Zeigefinger der anderen Hand zwirbelte. Bis sie dem Buch einen abrupten Stoß versetzte, sodass es über ihr Knie hinweg auf dem Polster landete, und sie sich mit einem Stöhnen rücklings der Länge nach in den Liegestuhl warf.
»Mir ist todlangweilig«, maulte sie, zappelte mit den bestrumpften Füßen und sah Jacobina mitleidheischend an.
Jacobina blinzelte und senkte den Blick wieder auf die Buchseiten. »Tut mir leid«, gab sie betont langsam und mit einer gewissen Schärfe zurück. »Ich bin nun einmal keine aufregendere Gesellschaft.«
»Stimmt doch gar nicht!«, widersprach Floortje fröhlich. »Aber mitunter wär ich schon froh, du würdest ein bisschen mehr über dich verraten. Denn sonst bin ich weiterhin allein auf Mutmaßungen und wildes Phantasieren angewiesen!«
Verblüfft starrte Jacobina sie an und wandte dann rasch die Augen ab. Dass Floortje sich Gedanken über sie machte, freute und beunruhigte sie zugleich, und die Verlockung, etwas von sich preiszugeben, rang mit ihrem Bedürfnis, auf der Hut zu bleiben.
»Allzu viel weiß ich ja auch nicht über dich«, entgegnete sie schließlich leise und bissiger als beabsichtigt. Halb unsicher, halb herausfordernd sah sie Floortje an.
Floortje wich ihrem Blick aus, ein dünnes Lächeln auf dem Gesicht. Unvermittelt wirkte sie in sich gekehrt, umso mehr, als sie sich aufsetzte, die Knie anzog und mit den Armen eng umschlang.
Beide verharrten in Schweigen. Ihre Augen schweiften über das Deck und das Meer, streiften dabei immer wieder die jeweils andere, ebenso neugierig wie vorsichtig. Wenn sich ihre Blicke dabei trafen, tauschten sie ein scheues Lächeln, das fragendem Ernst wich, bevor beide verlegen wegschauten. Eine seltsame Stimmung hatte sich zwischen ihnen eingeschlichen, angespannt und doch innig, geradezu vertraulich und doch nicht frei von Unbehagen.
Die Stille begann Floortje unangenehm zu werden, und schließlich hielt sie es nicht länger aus.
»Ist dir nicht zu warm?«, platzte sie mit dem Erstbesten heraus, das ihr in den Sinn kam, und deutete mit ihrem Kinn auf Jacobinas graue Tuchjacke.
»Nein«, log Jacobina. Die Bluse klebte ihr am Rücken, und unter den Achseln fühlte sie sich bereits feucht an. Dass sie die Jacke aufgehakt hatte und mittlerweile auf Handschuhe verzichtete, war ihr einziges Zugeständnis an die steigenden Temperaturen. Denn ohne die Jacke hätte sie sich schutzlos, beinahe nackt gefühlt; es kostete sie jedes Mal Überwindung, sie während der Mahlzeiten im Speiseraum auszuziehen, wie es sich gehörte. Und obwohl ihr die Kopfhaut juckte, würde sie um keinen Preis den Strohhut absetzen, das tat man in Gesellschaft unter freiem Himmel einfach nicht.
»Übrigens«, lenkte sie schnell ab, »wartet dort drüben jemand nur darauf, dass du ihm deine Aufmerksamkeit schenkst.«
Floortjes Blick folgte dem Jacobinas. Auf den obersten Holm der Reling gestützt, schaute Herr Aarens scheinbar gebannt auf das weite Meer hinaus. Ab und an wandte er
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