Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Freundin gefunden zu haben, die sich nicht nur mit ihren Eltern, sondern auch mit Henrik und Martin bestens verstand. Und sie hatte es ihrem älteren Bruder und Tine von Herzen gegönnt, als sich über den Sommer ein zartes Band zwischen ihnen entspann und sie sich im Herbst mit dem Segen ihrer Eltern verlobten.
Jacobina drückte sich tiefer in das Kissen und zog das Leintuch bis über die Nasenspitze, als sie an jenen einen Tag im Oktober dachte.
Müssen wir sie denn überallhin mitnehmen? Im Türrahmen des Salons stehend hatte Tine nur geflüstert, aber der hohe, weite Raum der Diele hatte ihre Stimme dennoch die Stufen heraufgetragen. Oben war Jacobina auf dem Treppenabsatz stehen geblieben, die Finger um ihren Hut und die Handschuhe verkrampft. Nur zu gern war sie auf Henriks Bitte eingegangen, mit ihm und Tine das Haus zu besichtigen, das er als ihr künftiges Heim ins Auge gefasst hatte. Bevor ihre Mutter sie weiterhin damit beschäftigt hielt, die Listen für die Hochzeit im Frühling zu ändern, zu erweitern und schließlich neu aufzusetzen. Henriks Antwort hatte mit einem Brummen begonnen, in dem die ersten Worte untergingen. … hat doch sonst niemanden. Jacobina hatte geschluckt, und das Blut war ihr heiß ins Gesicht geschossen. … immerhin deine Freundin! Von Tine war daraufhin ein Murmeln gekommen, das ungehalten klang; als ob sie dann den Kopf hob, um zu Henrik aufzublicken, war das, was sie unter zärtlichem Gurren hinzufügte, deutlicher zu verstehen gewesen. … musste mir doch etwas einfallen lassen, um dich auf mich aufmerksam zu machen! Henrik van der Beek kennt nur die Arbeit und kein Vergnügen, das haben alle gesagt, die ich nach dir gefragt habe. Hätte ich mich nicht an deine Schwester gehängt, hättest du mich niemals bemerkt! Henrik hatte nur gelacht, nicht gehässig, höchstens geschmeichelt, und entgegen seiner sonstigen Förmlichkeit hatte er seiner Verlobten einen hörbaren Kuss aufgedrückt.
Übelkeit stieg in Jacobina auf. Einen Abgrund hatte sie sich damals herbeigesehnt, der sich vor ihr auf der Treppe auftun und sie verschlingen möge; taub vor Elend und Scham war sie in ihr Zimmer zurückgeschlichen und hatte dem Dienstmädchen geläutet, damit es sie mit plötzlichen Kopfschmerzen entschuldigte. Nie hatte Tine ein Wort darüber verloren, dass Jacobina sich danach von ihr zurückgezogen hatte. Vielmehr schien sie wie befreit von der Last, die Fassade einer Freundschaft aufrechterhalten zu müssen, die nie eine gewesen war. Sondern nur Mittel zum Zweck.
Jacobina drehte den Kopf zur Seite und blinzelte zu den Blumen in der Nische hinauf. Sie war nicht so naiv zu glauben, dass sich von heute auf morgen alles ändern würde, nur weil sie ihre Koffer packte und ihrem alten Leben den Rücken kehrte. Und dennoch schien ihr das Sträußchen wie ein Hoffnungsschimmer, dass es dort draußen in der großen weiten Welt, jenseits der feinen Gesellschaft von Amsterdam, vielleicht ein, zwei Menschen gab, die etwas mit ihr anfangen konnten. Für die sie nicht wie eine Kanne wässriger Milch war, die bereits sauer zu werden begann.
Als fühlte sie sich bei einem Wunsch ertappt, der ihr nicht zustand, setzte sie sich schnell auf und löschte das Licht, bevor sie sich tief unter dem Leintuch verkroch, mit klopfendem Herzen und einem nagenden Gefühl im Bauch.
4
Nichts an den changierenden Blautönen von Himmel und Meer ließ erkennen, dass sie Europa hinter sich gelassen hatten; allein die stetig zunehmende Kraft der Sonne zeugte davon, dass die Maschinen des Dampfers sie bereits in den Orient getragen hatten.
Ohne die Abwechslung, die der Ausblick auf felsige Küstenstreifen und karge, manchmal hinter Dunstschleiern kaum zu erahnende Inseln geboten hatte, versank Jacobina in einem Zustand wohliger Trägheit. Sie war zufrieden damit, von ihrem angestammten Platz im Liegestuhl aus in den weiten Himmel hinaufzuschauen und den Blick auf der sanft gekräuselten Fläche des Meeres ruhen zu lassen. Stundenlang hielt sie ihr Buch aufgeschlagen auf den Knien, ohne auch nur einen Blick hineinzuwerfen; über den letzten Absatz, den sie davon gelesen hatte, war sie seit mehreren Tagen nicht hinausgekommen. Manchmal hing sie ziellos Gedanken nach, die gemächlich durch sie hindurchzogen wie die Wolkenfetzchen, die über den Himmel segelten, ebenso zerfasert und ungreifbar.
Eine Weile sah sie Kaatje, Tressje und Lijsje zu, die mit ihren Puppen spielten.
»Bis wir in Batavia sind«, ließ sich
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