Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
dürfen«, bekräftigte Frau Ter Steege und versetzte Lijsje, die seit geraumer Zeit die Orangenschalen, Traubenstängel und Pfirsichkerne auf ihrem Teller zu immer neuen Mustern arrangierte, einen leichten Klaps auf die Finger. Das Mädchen zog einen Flunsch, ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen und begann gelangweilt mit den Beinen zu baumeln, worauf es von seiner Mutter ermahnt wurde, sich gerade hinzusetzen.
»Uns wären Sie auch jederzeit willkommen«, ließ sich Frau Rosendaal vom Nebentisch vernehmen und ignorierte das unwillige Schnaufen ihrer jüngeren Schwester neben sich.
»Wir Niederländer müssen doch zusammenhalten in der Fremde«, gab sich der Major jovial und zwinkerte Floortje zu.
Ungläubig sah Floortje von einem zum anderen und bemerkte voller Genugtuung, wie sich Frau Junghuhns zerfurchte Miene noch weiter zusammenzog, die Lippen kaum mehr als ein fadendünner Strich, bevor sie selbst über das ganze Gesicht strahlte, die Hände in einer Geste der Rührung vor die Brust gepresst. »Das ist so liebenswürdig von Ihnen allen, danke! Ich nehme Ihre Einladung sehr gerne an!«
»Ich bewundere Ihren Mut«, sagte Frau Ter Steege und zog die kleine Kaatje, die sich bereits heftig mit den Handrücken die müden Augen rieb, auf ihren Schoß. »Eine solch weite Reise in ein fremdes Land, geradezu ins Blaue hinein – ein so junges Ding wie Sie! In Ihrem Alter hätte ich diesen Mut ganz gewiss nicht aufgebracht.«
»Die Zeiten ändern sich«, verkündete Herr Ter Steege und besah mit nachdenklicher Miene den Krug vor sich. »Es ist dringend nötig, dass frisches Blut ins Land kommt. Holländisches Blut. Die Zeiten sind vorbei, in denen man es hingenommen hat, wenn ein Beamter oder Pflanzer seine malaiische …«
»Pscht, Hermann!«, fiel ihm seine Frau hörbar verlegen ins Wort und warf einen entschuldigenden Blick in die Runde. Herr Ter Steege räusperte sich und spülte den Rest seines Satzes mit einem großzügigen Schluck Bier hinunter.
Eine peinlich berührte Stille hing einige Herzschläge lang im Speiseraum. Überlaut klang das Ticken der Uhr in der Ecke herüber, lauter noch als das beständige gedämpfte Dröhnen der Maschinen und ungleich hektischer, als suchte sie möglichst schnell einen anderen, unverfänglicheren Gesprächsgegenstand aufzubringen. Allein die vier Rekruten, die an einem gesonderten Tisch saßen, hielten die Ohren gespitzt, während sie unruhig auf ihren Stühlen herumrutschten und sich vielsagende Blicke zuwarfen, und Lijsje und Joost begannen, sich gegenseitig die Zunge herauszustrecken.
»Wissen Sie denn schon, wo Sie wohnen werden?«, wandte sich schließlich Frau Ter Steege mit der Fürsorge einer Alteingesessenen für den Neuankömmling an Frau Verbrugge.
»Ja, mein Mann hat ein Haus für uns angemietet. Sag, Gerrit – wo war das doch gleich?«
»Am Molenvliet.«
»Am nördlichen Ende oder am südlichen?«
»Hauptsache, so weit entfernt von der benedenstad wie möglich! Schmutzig, laut und …«
»Wenn Sie noch Personal benötigen, so kann ich Ihnen gerne …«
Jacobina hörte nur mit halbem Ohr zu. Während sie sorgfältig die weißen Häutchen von den Mandarinenschnitzen pellte, dachte sie daran, wie wenig sie eigentlich über ihre neue Heimat wusste. Was sie darüber gelesen und gehört, was sie an Bildern gesehen hatte, hatte ihr kaum mehr als eine grobe Vorstellung vermittelt. Die einer tropischen Insel mit undurchdringlichen Dschungeln, Reisfeldern und Teeplantagen an den Hängen hoher Berge. Eine üppig grüne Insel unter vielen, unter unzähligen gar, die die Schöpferhand leichthin in den Ozean gestreut hatte wie Smaragdsplitter. Eine Schatzkammer, reich angefüllt mit Tee und Kaffee, mit Chinin und Gewürzen. Ein Garten Eden am Ende der Welt, gezähmt und zu noch größerer Blüte gebracht von den Herren der Meere.
Ungleich schemenhafter war ihre Vorstellung davon, wie es sein mochte, dort zu leben, und ihr war bang zumute. Mit jedem einzelnen Tag, der sie näher an ihr Ziel brachte, ein wenig mehr. Aber eine andere Wahl hatte sie nicht gehabt; nicht, wenn sie diesem Leben noch etwas abgewinnen wollte. Etwas anderes als ein Dasein, das nicht schlecht gewesen war, aber auch nicht gut, grau und trostlos und ohne Sinn.
Sie spürte einen Blick und sah auf. Unbeachtet von den Erwachsenen, die Empfehlungen, Ratschläge und Fragen austauschten, hielt der kleine Joost die gespreizten Hände an seine Ohren. Sein Kopf wackelte hin und her, während er
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