Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
konnte, der nur eines wollte: einen in Stücke zu hacken. Giftiges Getier auf Schritt und Tritt und tückisches Fieber, das einen in kürzester Zeit umbringen kann.« Ein Schauder rann Jacobinas Rückgrat hinab; sie spürte den Dschungel hinter sich, der sich wie ein gigantisches Fabelwesen regte und atmete. »Kämpfe wie auf Borneo oder in Atjeh – die verändern einem den Blick auf das Leben. Auf das Wesentliche. Danach …« Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Mit grüblerischer Miene betastete er die Muscheln, die Jeroen ihm gebracht hatte, nahm eine davon auf und drehte sie zwischen den Fingern. »Danach lebt man nur noch im Augenblick. Da ist dann einfach kein Raum mehr für manierliches Getue. Man hat gelernt, nicht mehr groß nachzudenken, bevor man handelt. Man ist einfach nur noch. Auf einer ganz grundlegenden Ebene menschlichen Daseins. Und dann«, er stieß den Atem aus, »sitzt man mit sechsundvierzig unversehens auf einem entlegenen Posten und fragt sich, wozu man noch taugt.« Er verfiel in brütendes Schweigen und rieb die Muschel zwischen Daumen und Zeigefinger.
Da das Haus am Strand zu klein war, um Jacobina einen eigenen Platz für ihre Mahlzeiten zu bieten wie früher am Koningsplein, saß sie mit den de Jongs am Tisch auf der Veranda mit Blick aufs Meer. Den Tischgesprächen hatte sie entnommen, dass dem Major mit der Versetzung die Aufgabe zugefallen war, die versteckten Lager und Transportwege für Opium aufzuspüren, das illegal aus dem Ausland, meist aus dem Osmanischen Reich, Indien oder Persien über Singapur nach Java eingeführt und dort zu einem wesentlich niedrigeren Preis angeboten wurde als die beschränkten Mengen, die die Kolonialverwaltung ebenfalls von dort importierte und an ihre lizenzierten Opiumhändler weiterverkaufte. Der Regierung lag viel daran, die Schmuggler dingfest zu machen, denn die größere Verfügbarkeit des Opiums drückte trotz stetig wachsender Nachfrage auf den Preis, und wenn ein von der Verwaltung beauftragter Opiumhändler weniger Gewinn machte, fielen auch die von ihm zu entrichtenden Steuern geringer aus. Eine empfindliche Einbuße, die die Regierung in Batavia nicht länger hinnehmen wollte und deshalb Opiumjäger einsetzte, mehrheitlich einheimische Männer unter dem Kommando niederländischer Offiziere wie Vincent de Jong, der dabei dem zivilen Contrôleur von Ketimbang, Willem Beyerinck, unterstellt war. Jacobina hatte herausgehört, wie sehr es dem Major widerstrebte, einem Zivilisten untergeordnet zu sein, noch dazu einem, der wesentlich jünger war als er selbst.
»Sie werden sicher Erfolg haben«, versuchte sie sich an tröstenden Worten und hörte selbst, wie schwach diese klangen.
Der Major schnaubte. »Netter Versuch, Fräulein van der Beek. Aber das ist eine Aufgabe, die selbst Sisyphos als unzumutbar betrachtet hätte. Schauen Sie sich die Küste doch nur mal an.« Er machte eine Geste in Richtung der beiden Inseln, die auch den Strand zu ihrer Linken mit einschloss. »In den Buchten, den Regenwäldern können sich die Schmuggler so gut verstecken wie die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen. Dasselbe gilt für Bali, über das der größte Teil des Schmuggels abgewickelt wird. Zumal rohes Opium oft zwischen normalen Handelswaren oder in kleinen Päckchen am Körper von Händlern und koelies ins Land kommt. Und die Schlitzaugen «, seine Verachtung war überdeutlich herauszuhören, »halten zusammen wie Pech und Schwefel. Einem wie Go Kian Gie werden wir nie etwas nachweisen können. Nach außen hin wird er immer seine saubere Weste behalten, auch wenn wir alle wissen, wie tiefschwarz sie in Wirklichkeit ist.«
Jacobina musste einen Moment nachdenken, wo sie diesen Namen schon einmal gehört hatte; dann fiel es ihr ein: an dem Tag, an dem sie mit Jan das Viertel von Glodok besucht hatte. Go Kian Gie gehörte dort das prächtige Haus, das sie zuerst so bewundert hatte, bis Jan ihr erzählte, mit welch unlauteren Geschäften und schmutzigen Praktiken der Besitzer sein Geld verdiente.
»Kennen Sie den Ausdruck tempo doeloe ?«, wandte der Major sich wieder an sie, und Jacobina schüttelte den Kopf. »Er bedeutet ungefähr so etwas wie gute alte Zeit . Ein goldenes Zeitalter, das längst vergangen ist. Daran denke ich derzeit oft. Im Rückblick erscheint mir selbst Atjeh manchmal wie mein persönliches tempo doeloe .« Mit zusammengezogenen Brauen starrte er auf das Meer hinaus, und etwas an seinem wehmütigen Blick, an seiner Haltung
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