Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
entgegen.
»Und – welche gefällt dir am besten?«, wollte Jeroen von seinem Vater wissen.
Der Mund des Majors zuckte, während er sich die Muscheln besah. »Die hier«, sagte er schließlich und zeigte auf ein grau-weiß gemasertes Schneckenhaus.
»Mir auch!«, rief Jeroen und strahlte über das ganze Gesicht. »Kannst sie trotzdem haben.«
Er hielt seinem Vater das Schneckenhaus hin, der überrascht die Augenbrauen hochzog, als er es entgegennahm. »Das ist aber mächtig großzügig von dir, danke!«
»Ich kann ja ein neues suchen gehen, da unten hat’s bestimmt noch welche! Soll ich?« Bereit, gleich aufzuspringen, sah er den Major fragend an.
»Wenn du magst – gerne!« Sein Vater gab ihm einen liebevollen Klaps auf den Rücken, und Jeroen rannte los. Ida zögerte, warf dann die Ärmchen um den Hals des Majors und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie ihrem Bruder hinterherlief.
»Waatee!«, rief sie ihm hinterher. »Waatee! Waaa-teeeee!«
Jacobina sah ihnen nach und musste lachen, und wie ein Echo hörte sie auch das polternde Lachen des Majors hinter sich. Sie wandte sich um und erwiderte sein Lächeln.
»Möchten Sie sich nicht zu mir setzen?« Als sie zögerte, machte er eine ruckartige Kopfbewegung und legte das Schneckenhaus, das Jeroen ihm gegeben hatte, zu den anderen Muscheln. »Nun kommen Sie schon«, knurrte er gutmütig. »Ich werd Sie schon nicht beißen.«
Mit einem leisen Lachen ließ Jacobina sich neben ihm nieder und zog sich den Sarong über ihrer knielangen Unterhose und den gebräunten Beinen zurecht; wie er sah sie den Kindern zu, die auf dem wellenüberspülten Streifen zwischen Wasser und Land umherliefen, sich immer wieder bückten und sich gegenseitig ihre Fundstücke zeigten.
»Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Fräulein van der Beek«, hörte sie den Major nach einer Weile leise sagen. Fragend sah sie ihn an. Er erwiderte ihren Blick nicht; die Unterarme auf die angezogenen Knie gelegt und die Finger locker ineinandergehakt, grub er stattdessen mit der Ferse eine Kuhle in den Sand. Seine Füße waren wie seine Hände groß und kräftig und auf ihrem Rücken von feinen Härchen wie Kupferdraht übersät. »Sie müssen in den vergangenen Monaten einen denkbar schlechten Eindruck von mir gewonnen haben.«
Verlegen rieb Jacobina ihr Kinn an der Schulter und sah dann wieder auf das Wasser hinaus. In der Ferne konnte sie eine Handvoll bunt bemalter Fischerboote mit hochgezogenem Bug und zwei kleine Segelschiffe ausmachen. Abrupt wandte sie den Kopf, als sie die Augen des Majors auf sich spürte, klar und kühl, mit einem neugierigen Funkeln darin. Er sah wieder gesünder aus; der aschene Unterton war einer vitalen Rosigkeit gewichen; Jacobina glaubte sogar ein paar Sommersprossen entlang seiner Jochbeine zu erkennen. Er wirkte auch nicht mehr aufgedunsen und zerknittert, vielmehr hatten seine Züge ihre frühere markante Härte zurückerlangt.
»Wie alt sind Sie jetzt?«, wollte er von ihr wissen.
Jacobina wich seinem eindringlichen Blick aus und wandte ihr Gesicht wieder dem Meer zu. »Siebenundzwanzig.«
Anfang Januar war ihr Geburtstag gewesen. Sie hatte niemandem etwas davon gesagt, auch Floortje und Jan nicht; zu frisch war noch die Erinnerung an die Feiern der letzten Jahre gewesen, die der Form halber begangen worden waren und ohne dass sie das Gefühl hatte, jemand freute sich wirklich, dass es sie, Jacobina van der Beek, auf dieser Welt überhaupt gab. Und auch wenn nun so vieles anders war als damals, war die Erinnerung noch zu lebendig an die spitzen Bemerkungen, die bissigen Scherze über das Missverhältnis zwischen ihrem Alter und ihrem Familienstand, die sie mit jedem Jahr häufiger über sich ergehen lassen musste; vielleicht würde sie nächstes Jahr wieder ihren Geburtstag feiern.
»Siebenundzwanzig …«, hörte sie den Major neben sich murmeln. Aus den Augenwinkeln sah Jacobina, wie sich seine Finger fester verschränkten und sich seine Zehen in den Sand bohrten. »Mit siebenundzwanzig war ich gerade wieder in Batavia. Zurück aus Borneo. Rastlose Jahre waren das für mich. Ohne Ziel, ohne Sinn. Leere Wochen und Monate in der Garnison, mit eintönigem Dienst und Drill nicht einmal annähernd ausgefüllt. Man vermisst den Rausch des Lebens am Abgrund. Nachdem es im Dschungel allein galt, den nächsten Tag zu überleben, die nächste Stunde oder auch nur den nächsten Augenblick. Nachdem hinter jedem Baum ein Aufständischer lauern
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