Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
täuschte: Gleich hinter der Biegung, die der Strand weiter vorne machte, lag das geschäftige Städtchen Ketimbang, ein Fischerdorf und Marktflecken zwischen dem flachen Meeresufer und den Mangrovensümpfen. Ein bunter Ort war Ketimbang mit seinen traditionellen Holzhäusern auf Stelzen, den einfachen Hütten und Buden, der farbenprächtig gemusterten Kleidung und den braunen Gesichtern der einheimischen Bevölkerung, die fast vollkommen unter sich war; Weiße gab es hier nur wenige.
Der Umzug nach Ketimbang war noch einmal wie ein Neuanfang gewesen, und alle Bedenken und Zweifel, die Jacobina noch an Bord eines der Dampfkähne hegte, die mehrmals täglich zwischen Java und Sumatra hin- und herpendelten, hatten sich bereits in den ersten Tagen hier zerstreut. Es gefiel ihr, so dicht am Meer zu leben und mit den Kindern stundenlang am Strand zu spielen, und das gleichmäßige Rollen, Flüstern und Raunen der Wellen begleitete ihre Tage und Nächte bis in den Schlaf hinein. Heiß war es auch hier und oft dampfig dazu, aber fast immer strich eine angenehme Brise über den Strand, die auch jetzt an Sarong und Kebaya von Ida und Jacobina zupfte und ihnen durch das hellblonde Haar fuhr. Jacobina trug schon lange keinen Hut mehr, und sie versuchte auch gar nicht, die Strähnen, die der Wind aus ihrem einfachen Haarknoten gelöst hatte, zu bändigen. Unter der Sonne hatte ihre Haut eine kräftigere Farbe angenommen, sogar dort, wo der dünne Stoff der Kebaya sie bedeckte, und auch Ida war tief gebräunt, ihr Haar beinahe weiß gebleicht.
Jacobina atmete tief ein und sog ihre Lungen voll mit der frischen, salzigen Meeresluft, in die sich der würzige, feuchte Geruch der dichten Regenwälder mischte. Das war er, der Duft der Freiheit; der Freiheit, die sie gesucht hatte, als sie sich nach Batavia aufgemacht hatte. Hier, auf Sumatra, fühlte sie sich wohl, hier war sie glücklich. In diesem Haus, an diesem Strand, zusammen mit den Kindern und der Vorfreude auf ein Leben an Jans Seite. Sie war im Paradies angekommen.
Ein Paradies, das jedoch nicht frei von Schatten war. Jacobina sah zu dem Dschungel hinüber, der sich hinter dem Haus erstreckte und bergan wucherte. So weit das Auge reichte, drängte sich der Urwald die Küste entlang. Bei Tag konnte Jacobina knorrige Stämme ausmachen, deren Rinde wie verrostet aussah und auf der purpurviolette und weiße Orchideen prangten; darunter wucherte undurchdringliches Unterholz in überbordender Fülle. Lianen hingen in Schlaufen und Girlanden vom Laubdach herab, und irgendwo plätscherte Wasser. Jacobina war froh darum, dass sowohl der Major als auch Frau de Jong ihr mehrfach eingeschärft hatten, niemals mit den Kindern in den Wald zu gehen, mochte Jeroen auch noch so darum betteln. Mit gemischten Gefühlen war sie ein paar Mal mit Frau de Jong nach Ketimbang gefahren, um Kleinigkeiten für das neue Haus zu besorgen und die Post abzuholen; einerseits hatte sie die wilde, verschwenderische Schönheit des Dschungels betört, die sie umgab, während sie in dem kleinen zweisitzigen Pferdewagen über den schmalen Pfad, kaum mehr als eine durch das Dickicht geschlagene Schneise, geholpert waren. Andererseits jedoch hatte sie sich belauert und bedrängt gefühlt, als ob ihr der grüne Tunnel, durch den sie fuhren, die Luft zum Atmen nahm.
Nachts aber bekam der Urwald eine undurchdringliche Schwärze, die Jacobina unheimlich war, genau wie die Geräusche: Es knackste und raschelte fortwährend, heisere Schreie hallten darin wider, und darunter schien ein unaufhörliches Brausen und Summen zu schweben. Der Dschungel vibrierte vor Leben, einem wilden, ungezügelten Leben, und seine rastlose Finsternis wirkte auf Jacobina bedrohlich; als könnte der Regenwald eines Nachts seine Fänge ausstrecken, sie alle an sich reißen und verschlingen. Und der Rajabasa, der sich mal finster, mal mit steinerner Gleichmut hinter dem Haus erhob, der seine eisengrauen Flanken majestätisch ausbreitete und den Dschungel, der an seinen Ausläufern emporkroch, willkommen hieß, besaß etwas Beklemmendes für Jacobina; sie hatte ein ungutes Gefühl dabei, am Fuße eines Vulkans zu leben.
Das Lächeln, das Jeroen ihr entgegenschickte, als sie mit Ida zu ihm trat, verscheuchte für den Augenblick diese düsteren Gedanken. In kurzen Hosen stand er im Wasser, braun wie eine Nuss, sodass seine Augen blau aus seinem Gesicht herausleuchteten.
»Bist du fündig geworden?«, fragte sie und strich ihm über das Haar,
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