Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Unter dem heftigen, teerdunklen Durchfall, der seinen Körper weiter auszehrte. Bis er nur noch dalag, das Gesichtchen spitz und eingefallen, und jeder seiner mühseligen Atemzüge schnitt Jacobina ins Herz.
Zu einer Statue erstarrt, die Augen gläsern, kniete Margaretha de Jong auf dem Boden, den Arm um den Kopf ihres Sohnes gelegt; nur ihre Hand bewegte sich, die unaufhörlich über Jeroens kurzgeschorenes Haar strich. Melati saß neben ihr mit leerem Blick, und der Major hockte auf dem Rand der Matratze, die schlaffen Kinderfinger in seiner großen Hand.
Aus Jeroens Kehle tröpfelte ein feiner Laut; seine Brauen krümmten sich zusammen, dann bewegten sich sacht seine Lippen. »Papa«, hauchte er, seine Stimme schwach und krächzend, als schmerzte ihn jeder Laut in der Kehle. »Geh’n … mo’g’n … ins … Meer?«
»Ja«, erwiderte sein Vater mit einer Stimme, die dick war vor Verzweiflung. Sein Daumen rieb über die Hand seines Sohnes. »Das machen wir. Versprochen!«
Ein kaum sichtbares Lächeln huschte über Jeroens Mund, und seine Brauen bewegten sich erneut. »…ina?«
Die Augen des Majors, blutunterlaufen und dunkel vor Leid, richteten sich auf Jacobina. »Ja«, brachte er heiser hervor. »Die noni Bina ist auch da.« Er nickte ihr zu.
Jacobina trat ans Bett und ließ sich auf dem Boden nieder. Sanft legte sie die Hand auf Jeroens ausgezehrten Leib. »Ich bin da, Jeroen«, wisperte sie mit wackeliger Stimme, und Tränen tropften aus ihren Augen. »Ich bin hier.«
Der Junge deutete ein Nicken an und öffnete den Mund, aus dem aber kein Laut mehr kam. Nur noch schwache Atemzüge. Die leiser wurden. Dann seltener.
Die Arme um ihren Oberkörper geschlungen, stand Jacobina auf der Veranda und sah über das Wasser der Bucht hinweg auf die Inseln Sebuku und Sebesi hinaus. Mit jeder neuen Träne verschwamm das paradiesische Bild vor ihren Augen, aber sie wischte sie schon lange nicht mehr weg. Es lohnte sich nicht, es waren zu viele, und sie legte keinen Wert auf eine klare Sicht der Dinge; es tat zu sehr weh.
Sie hörte behutsame Schritte hinter sich, dann legten sich schlanke, sehnige Arme fest um sie und hüllten sie ein in den Duft von sonnendurchwärmtem Stein und grünem Moos, durchmischt mit der scharfen Note von Tabakrauch. Mit einem Aufschluchzen drehte sie sich um, krallte ihre Finger in das Revers des schwarzen Jacketts und vergrub das Gesicht an Jans Schulter.
»Warum?«, schluchzte sie gegen den kratzigen Stoff, durch den die Wärme seines Körpers auf ihre Haut drang. »Er war doch noch so klein! So voller Leben. So fröhlich und immer gesund! Warum, Jan?«
»Ich weiß es nicht«, murmelte er tonlos in ihr Haar, während er sie fest in seinen Armen hielt. Jacobina spürte, wie er zitterte und immer wieder ein Rucken durch seinen Brustkorb lief wie ein Schluchzen. »Selbst mir fällt es jetzt schwer, meinen Glauben nicht zu verlieren.«
Es tat gut, dass Jan da war. Dass er Jeroen noch einmal gesehen hatte, bevor sie den Leichnam des Jungen in ein Leintuch gewickelt und nach Teluk Betung gefahren hatten, um ihn auf dem kleinen christlichen Friedhof dort zu bestatteten. Blass unter seiner Sonnenbräune und mit erschütterter Stimme hatte Jan die Grabrede gehalten, den Segen erteilt und Jeroens Seele dem Schöpfer anempfohlen und sich seiner Tränen dabei nicht geschämt. Vor allem für Margaretha und Vincent de Jong war es gut, dass Jan nach Sumatra gekommen war, so schnell er konnte, wenige Stunden nachdem Jeroens junges Leben verloschen war. Während der Major in seinem Kummer versteinerte, stumm und regungslos und grau im Gesicht, ertrank seine Frau in Fluten der Verzweiflung. Mein kleiner Liebling hatte sie während des Begräbnisses immer wieder weinend gerufen. Mein Kind. Gebt mir mein Kind zurück. In den vergangenen drei Tagen hatte Jan viele Stunden damit verbracht, neben Margaretha de Jong auf der Veranda zu sitzen oder auf der Bettkante im Schlafzimmer, hatte ihre Hand gehalten, sie in den Arm genommen und beruhigend auf Malaiisch auf sie eingeredet, und lange waren er und der Major am Strand spazieren gegangen.
Jacobina schmiegte die Wange gegen Jans Brust. »Wie geht es Frau de Jong?«
Jan drückte sie fester an sich. »Sie schläft jetzt. Doktor Dekker hat ihr etwas zur Beruhigung gegeben.« Er atmete tief durch und rieb Jacobina mit einer Hand über Rücken und Schulter. »Vorhin war sie wie von Sinnen. Sie ist besessen davon, dass Melati die Kinder vergiftet haben
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