Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Küche herabgesetzt zu werden kam unter den Einheimischen einer Demütigung gleich, das wusste Jacobina. Dennoch schien Melati weniger darunter zu leiden als unter ihrer Trauer um Jeroen und unter der Trennung von Ida. Als schleppte sie ihren Kummer auf den Schultern umher, hielt sie sich gebückt; ihre Schritte wirkten müde, und auf ihrem Gesicht mit den matten Augen lag ein bitterer, schmerzlicher Zug, der geradezu die Farbe aus ihrer Haut zu saugen schien.
Jacobina lächelte ihr ebenso freundlich wie mitfühlend zu, ein Lächeln, das Melati scheu und ein bisschen traurig erwiderte. Doch noch bevor Jacobina etwas Nettes eingefallen wäre, das sie ihr auf Holländisch oder Malaiisch hätte sagen können, hatte Melati den Kopf gesenkt und war davongeschlichen.
Nachdenklich trat Jacobina auf die Veranda, auf der sich die feuchtheiße Luft des späten August zum Schneiden dick niedergelassen hatte. Sie ließ ihre Augen durch den in Scharlachrot, Weiß, Sonnengelb und Purpurblau blühenden Garten und über den Strand hinweg zum Meer schweifen. Wie ein Deckel aus azurblauem Porzellan stülpte sich der Himmel tief über die grün bepolsterten Hügelkuppen der beiden Inseln, und das Wasser der Bucht glänzte unter der Sonne türkisblau. Das Wasser, das Jeroen so geliebt hatte.
Jacobina schlang die Arme eng um sich. Jeroen fehlte ihr entsetzlich, es war kaum zu begreifen, dass es ihn nicht mehr gab. So oft wartete sie darauf, sein Lachen oder seine Stimme zu hören und dass sich seine kleine Hand auf ihr Knie legte und er das Gesicht zutraulich an ihrem Arm rieb. Und ihr Körper hungerte danach, ihn noch einmal auf dem Schoß zu haben oder zu umarmen, die Wärme seines kleinen Körpers zu spüren und seinen Duft nach Toffee und Ingwer einzuatmen.
Wie unerträglich musste es dann erst für Margaretha de Jong sein, von der Jeroen ein Teil gewesen war, in ihrem Leib empfangen, neun Monate in ihr herangewachsen und dann von ihr zur Welt gebracht? Mehr als sechs Jahre lang mit Melatis Hilfe behütet, gehegt und großgezogen; sechs Jahre der Freude am Gedeihen und Werden dieses kleinen Menschen und der Träume, was einmal aus ihm werden würde. Bis er von einem Tag auf den anderen einfach nicht mehr da gewesen war.
Jacobina konnte verstehen, dass Jeroens Tod die alten Verletzungen bei Margaretha de Jong wieder aufgerissen hatte und Misstrauen, ja Hass gegenüber der früheren Geliebten ihres Mannes hervorbrechen ließ, aber sie fühlte auch mit Melati, die nicht nur getrennt von ihrem leiblichen Sohn war, sondern mit Jeroen auch ihren Ziehsohn verloren hatte. Vielleicht wäre es für alle das Beste, wenn Melati nach Batavia zurückkehren würde, in ihren Kampong und zu Jagat, vielleicht mit einer kleinen Summe Geld oder gar einem Empfehlungsschreiben.
Sie ging die Stufen hinunter, tat ein paar Schritte durch den Sand und blieb dann stehen. Eine Bewegung am Rand ihres Blickfelds ließ sie den Kopf wenden.
Vor der Böschung saß der Major hemdsärmelig und in hellen Hosen. Bis kommende Woche war er von Beyerinck beurlaubt worden, erst danach würde er wieder in Uniform auf seine Streifzüge durch den Dschungel und entlang der Küste gehen; sicher ein Segen, das würde ihn zumindest für einige Zeit auf andere Gedanken bringen. Die Ellenbogen auf die angezogenen Knie gestützt, rieb er sich immer wieder mit den Handballen über die Augen, und seine Schultern zuckten unter unhörbaren Schluchzern. Es machte sie verlegen, diesen ungebärdigen Mann, der so grob, so ausfallend werden konnte, derart verletzlich zu sehen, und auf Zehenspitzen trat sie behutsam einen Schritt zurück.
Ruckartig wandte er den Kopf zu ihr hin und heftete seine blauen Augen auf sie, die nass glänzten. Und sein hartes Gesicht mit dem angespannt geöffneten Mund war gramzerfurcht; es verriet, wie sehr er litt.
Jacobina zauderte, dann kam sie vorsichtig näher, abwartend, ob er sich wegdrehen oder ihr auf andere Weise zu verstehen geben würde, dass er nicht so von ihr gesehen werden wollte. Doch er rührte sich nicht, sah sie einfach nur an, bittend, beinahe hilflos. Erst als sie sich neben ihm in den Sand setzte und sich den Sarong um die Beine zurechtzog, richtete er den Blick wieder aufs Wasser, das murmelnd über den Strand heranwogte und sich flüsternd wieder zurückzog, und immer wieder rieb er sich über die Augen.
»Ich hab im Krieg so viele Männer sterben sehen«, hörte sie ihn nach einer Weile sagen. Seine Stimme klang aufgeraut, fast
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