Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
zusah, wie sie einträchtig im Garten miteinander spielten, oder wenn sie von der Veranda aus hören konnte, wie sie lachend und kichernd um das Haus herum durch das Gebüsch strichen.
Dennoch fand Jacobina in dieser Nacht keinen Schlaf; ein ungutes Gefühl hatte von ihr Besitz ergriffen und ließ sich weder abschütteln noch mit dem Verstand ergründen, mochte sie sich noch so oft überängstlich und närrisch schimpfen und sich damit beruhigen, dass Melati ja bei den Kindern schlief. Ein Gefühl, das fast einer bösen Vorahnung gleichkam, obwohl es bestimmt keine weitere Bedeutung besaß, dass Jeroen heute unkonzentriert gewirkt und sich am Abend bockig gezeigt hatte, als es Zeit gewesen war, zu Bett zu gehen.
Ein Geräusch ließ sie auffahren. Mit rasendem Herzschlag horchte sie auf; vielleicht ein Tier, das um das Haus schlich. Sie zögerte, dann tastete sie auf dem Nachttisch umher und entzündete eine Lampe. Auf leisen Sohlen ging sie hinüber, schob vorsichtig die Tür auf und spähte hinein.
Melati kniete vor Jeroens Bett und strich ihm über den Kopf. Leise trat Jacobina näher. Jeroen regte sich im Schlaf und hatte die Brauen zusammengezogen; auf seinem Kissen zeichnete sich ein Speichelfleck ab. Ein Gurgeln drang an ihr Ohr, so leise, dass es kaum zu hören war; dann kamen aus Idas Bettchen ein hustender Laut, ein krampfhaftes Schlucken. Jacobina stellte die Lampe auf der Kommode ab und beugte sich über das Gitterbett.
»Mäuschen, was ist?«, flüsterte sie Ida zu und strich ihr über die Schulter. Schlaftrunken öffneten sich Idas Lider. Sie hustete wieder, einen feuchten Husten, der klang, als ob sie an etwas würgte. Jacobina fasste sie unter den Achseln und hob sie schnell aus dem Bett, um sie auf ihre Hüfte zu setzen. Idas Augen weiteten sich ängstlich; sie schnappte nach Luft und krallte ihre Finger in Jacobinas Nachthemd.
»Hast du dich verschluckt, meine Süße?«, murmelte Jacobina, schaukelte das Mädchen auf der Hüfte und klopfte ihm sanft auf den Rücken, der schweißnass war. Ida japste, keuchte und würgte; ein Ruck jagte durch ihren kleinen Körper und dann noch einer; ihr Kopf schleuderte nach vorne, und sie erbrach sich auf Jacobinas Nachthemd. Jacobina schüttelte sich und gab einen angeekelten Laut von sich, als das Erbrochene durch den dünnen Stoff bis auf ihre Haut durchsickerte, und zwang sich, dennoch tröstend auf Ida einzureden.
Erschrocken riss sie den Kopf herum, als Melati aufschrie. Unvermittelt hatte Jeroen angefangen, sich in seinem Bett zu krümmen und zu winden; ein Krampf nach dem anderen lief durch seinen schmalen Leib und rüttelte ihn durch. Er keuchte und hustete, schob sich halb auf einen Ellenbogen und presste die andere Hand vor den Magen. Gurgelnd erbrach er sich über das Leintuch.
Eine zähe, klumpige Masse – schwarz wie Pech.
Jacobina stand über das Gitterbett gebeugt und streichelte Idas Bäuchlein. Es war erschreckend, wie sehr sich das kleine Mädchen in einem halben Tag, von kurz nach Mitternacht bis jetzt, zur Mittagsstunde, verändert hatte. Kreidebleich war ihr Gesichtchen und hohlwangig, die Augen hinter den geschlossenen Lidern von tiefen Schatten unterlegt. Wie ein kleiner Geist sah sie aus.
Wenigstens schien sie tief und fest zu schlafen; nach den heftigen Anfällen in den frühen Morgenstunden hatte sie nichts mehr erbrochen und alles, was man ihr an Tee eingeflößt hatte, bei sich behalten, wenn sie dabei auch kläglich geweint und den Kopf weggedreht hatte.
Immer wieder blickte Jacobina zu Doktor Dekker hinüber, der hinter der Tür in einem Rattanstuhl saß. Immer in der bangen Hoffnung, etwas in seiner Miene würde verraten, dass doch noch nicht alles verloren war. Dass es doch noch etwas gab, das er tun konnte, oder er ein Anzeichen für ein Wunder bemerkte. Aber wie er dasaß und stumm vor sich hinstarrte, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und das Kinn auf den gefalteten Händen, jeglichen Ausdruck auf seinem gutmütigen Gesicht weggewischt, nahm ihr jedes Mal aufs Neue diese Hoffnung. Umso fester klammerte sie sich an die Hoffnung, dass sie das Telegramm nach Buitenzorg noch früh genug abgeschickt hatten. Dass Jan es noch rechtzeitig hierher schaffen würde.
Jacobina ertrug es kaum, zu Jeroens Bett hinzusehen. Stundenlang hatte sich sein schmaler Leib aufgebäumt; geschrien hatte er unter den Krämpfen, die Schwall um Schwall verklumpten Breis aus ihm hervorbrechen ließen, im Tageslicht braunschwarz wie Kaffeesatz.
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